Mit erneuerbarem Diesel in das postfossile Zeitalter?


Power to X hat das Potenzial, eine der wichtigsten Pfeiler für eine erneuerbare Energieversorgung zu werden. Erneuerbare Energien sind von meteorologischen Bedingungen abhängig – das lässt sich nicht verändern. Bestimmte Anwendungen werden auch in Zukunft auf chemische Energieträger angewiesen sein. Es ist deshalb unvermeidlich, in die chemische Speicherung von Erneuerbaren zu investieren. Power to X bietet die Möglichkeit, erneuerbare Energien zu speichern und transportfähig zu machen. Reversible Elektrolyseanlagen können zusätzlich die Stromversorgung stabilisieren, ohne dass zusätzliche Investitionskosten notwendig sind.

Artikel
von Dr. Christian Zeyer
20.07.2016

Die Klimakonferenz von Paris im letzten Dezember ist mit dem Abschluss eines epochalen Vertragswerks zu Ende gegangen. Die Ziele, welche dieses Vertragswerk anvisiert, sind hoch. Bis Mitte dieses Jahrhunderts muss die Energieversorgung vollständig frei von fossilen Brenn- und Treibstoffen, also Öl, Erdgas und Kohle, sein. Diese Anforderung ist enorm. Rund 80 Prozent der weltweiten Energieversorgung basieren heute auf diesen Kraftstoffen. Gleichzeitig zeichnen sich neue Lösungen ab. «Power-to-X», die Herstellung von Kraftstoffen aus erneuerbaren Energien, kann helfen, die Herausforderung zu meistern. Voraussetzung ist: Das Angebot an erneuerbaren Energien muss weiter zunehmen.

Die Herausforderung ist gross, doch ein Blick in die Vergangenheit macht zuversichtlich. In den 1960er-Jahren habe der Chef von IBM den Bedarf für Computer auf etwa acht Einheiten eingeschätzt – für die ganze Welt. Heute findet man, versteckt in verschiedenen Geräten, in jedem modernen Haushalt mindestens acht Computer. Eine ähnliche Entwicklung konnten wir auch bei den Photovoltaikanlagen beobachten. In nur 25 Jahren fiel der Preis der PV-Panels um einen Faktor 10. Die Kostendegressionspotenziale sind damit längst nicht ausgeschöpft. Das war Anfang der 1990er-Jahre nicht zu erwarten. Diese beiden Beispiele zeigen, wie enorm das Potenzial der Innovation ist, wenn alle Rahmenbedingungen stimmen. Sie zeigen aber auch, wie schwierig es ist, Innovationspotenziale richtig vorauszusagen.

In der 2012 veröffentlichten Cleantech-Energiestrategie hat swisscleantech nachgewiesen, dass bereits heute die Technologien vorhanden sind, um bis 2050 eine 1-Tonne-CO2-Gesellschaft [1] zu realisieren. Notwendig sind eine konsequente Umsetzung der Effizienzpotenziale und ein Ausbau der erneuerbaren Energien. Wasserkraft-, Solar und Windstrom sind die wichtigsten Pfeiler der Energieerzeugung. Dämmung, effiziente Haustechnik und die Elektrifizierung von Heizung und Verkehr führen zum benötigten, effizienten Umgang mit Energie.

Umbau des Erdöl-Systems

Die Klimakonferenz von Paris belegt: Dieses Ziel einer 1-t-CO2-Gesellschaft ist nicht ambitioniert genug. Ein vollständiger Ausstieg aus den fossilen Kraftstoffen ist notwendig. Damit ergeben sich neue Fragen, die geklärt werden müssen. Bisher ist es beispielsweise nicht gelungen nachzuweisen, wie der Güterverkehr oder der Flugverkehr ohne Treibstoffe auskommen kann. Ausserdem darf man nicht vergessen: Energieerzeugung, Verteilung und Nutzung bilden ein komplexes System. Dieses System, das heute von Erdöl dominiert wird, innerhalb von knapp 40 Jahren umzubauen, ist eine gewaltige Aufgabe.

Wer auf fossile Kraftstoffe verzichten will, muss Alternativen aufzeigen. Diese müssen einige Bedingungen erfüllen. So muss etwa deren Angebot gross genug sein und weitreichende Sicherheitsbedürfnisse müssen befriedigt werden [2]. Die erneuerbaren Energien können diese Erwartungen erfüllen, haben jedoch unbestritten einen Nachteil: Sie sind abhängig von Jahreszeit und meteorologischen Bedingungen. Ein weiterer Ausbau der erneuerbaren Energien wird ein zeitliches Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage erzeugen. Speichertechnologien werden daher in naher Zukunft eine immer grössere Bedeutung erhalten, denn sie erlauben es, Angebot und Nachfrage auszugleichen.

Top-Thema: Speichertechnologien

Die heute gängigen Speichertechnologien wie Pumpspeicherwerke oder Batterien werden auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Ihre geringe Energiespeicherdichte setzt aber Grenzen. Hier haben die CO2-basierten Kraftstoffe wie Benzin oder Diesel einen enormen Vorsprung, den Batterien kaum aufholen können. Allerdings: Ein Ausstieg aus fossilen Kraftstoffen muss nicht zwingend bedeuten, dass man auf CO2-basierte Kraftstoffe verzichten muss. Eine klimagerechte Weltwirtschaft ist nicht gleichbedeutend mit einem Zeitalter «Beyond Petroleum». Man muss nur den CO2-Kreislauf schliessen und aus dem CO2 in der Atmosphäre wieder neuen Kraftstoff herstellen. Anstelle von fossilem Kraftstoff tritt erneuerbarer Kraftstoff.

Erneuerbarer Diesel

Wie das technisch gehen könnte, zeigen zwei Pilotprojekte schweizerischer und deutscher Ingenieurskunst exemplarisch. Während das Schweizer ETH Start-up Climeworks in der Lage ist, CO2 aus der Luft herauszufiltern, entwickelt die Firma Sunfire in Deutschland eine reversible Brennstoffzelle. Speist man diese mit erneuerbarem Strom, produziert sie aus CO2 und Wasser einen Solardiesel. Kehrt man den Prozess um, kann wiederum Strom gewonnen werden. Die Kopplung dieser beiden Anlagen verspricht den Ausstieg aus den fossilen Kraftstoffen.

Eine solche Anlage, die sowohl aus Strom einen Kraftstoff herstellen kann, wie auch aus dem Kraftstoff wieder Strom, verfügt über ein interessantes duales Businessmodel. Sie kann einerseits den Kraftstoff verkaufen, andererseits ihre Produktionsbereitschaft am Regelenergiemarkt als Reservekraftwerk anbieten. Reservekraftwerke laufen sehr selten und haben die Funktion, die Stromversorgung abzusichern. Gemäss Überschlagsberechnungen könnte ein solches, kombiniertes System von Strom- und Dieselerzeugung eine konstante Stromversorgung mit Vollkosten für Strom um 10 Rp./kWh und eine Versorgung mit Diesel zu einem Preis von etwa 1.50 Fr./Liter sicherstellen. Dieses Energieversorgungssystem ist zwar etwas teurer als das heutige System, es ist jedoch CO2-frei und erfüllt damit die Bedingungen des Pariser Klimaabkommens. Berücksichtigt man die vorhandenen Energieeffizienzpotenziale, wäre dieses System kaum teurer als unser traditionelles System, es ist jedoch klimagerecht und damit zukunftsfähig.

Reversible Brennstoffzellen

Interessant an dieser Überlegung ist die Tatsache, dass Brennstoffzellen modular aufgebaut sind. Somit kann eine solche Brennstoffzelle auch innerhalb der Haustechnik eine Rolle spielen. Wiederum ergibt sich ein Doppelnutzen: Produzieren im Sommer die dezentralen PV-Anlagen zu viel Strom, wird dieser zu Solardiesel veredelt. Im Winter, wenn die Wahrscheinlichkeit von Knappheitssituationen grösser ist, könnte Strom eingespeist werden. In beiden Fällen verhält sich die Anlage netzdienlich, stabilisiert die Stromversorgung und reduziert den Bedarf für den Netzausbau. Ausserdem kann – bei dezentraler Aufstellung – die Abwärme im Gebäude zur Warmwasserproduktion eingesetzt werden.

Dank der Modularität wäre es möglich, auf grosse Stückzahlen in der Produktion zu setzen. Dies eröffnet ein weites Spektrum an möglichen Kostensenkungen. Die Automobilindustrie machte dies genauso vor wie die PV-Industrie.

Power-to-X

Die oben erwähnten Projekte werden zusammen mit ähnlich gelagerten Forschungsanstrengungen unter dem Begriff «Power-to-X» zusammengefasst. Das X steht dabei für den erzeugten Kraftstoff. Dieser kann Gas, Öl oder auch Methanol sein. Power-to-X hat das Potenzial, die Lücke zu schliessen und einen nahtlosen Übergang vom fossilen ins postfossile Zeitalter zu ermöglichen. Voraussetzungen dazu sind gute Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung der darin involvierten Technologien und ein forcierter Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion. Denn heute herrscht erst während wenigen Stunden ein erneuerbarer Überschuss, der verwendet werden kann.

Verrückte Strompreis-Situation

Wie die aktuelle Diskussion um die Strompreise zeigt, ist der weitere Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion trotz sinkender Produktionskosten kein Selbstläufer. Aktuell ist PV-Produktion in Deutschland heute bereits zum Preis von etwa 8 Rp./kWh möglich und Windturbinen produzieren in Dänemark zu 5 Rp./kWh. Dieser Preis ist tiefer als etwa die betriebswirtschaftlichen Vollkosten der Stromproduktion in Kohlekraftwerken, welche bei ca. 10 Rp./kWh liegen. Trotzdem kann keines dieser Kraftwerke – weder PV, Wind noch Kohle – auf dem Strommarkt einen kostendeckenden Preis erzielen. Denn die Grosshandelspreise liegen heute unter 3 Rp./kWh. Dies bringt auch die Schweizer Wasserkraft in Bedrängnis, welche betriebswirtschaftliche Vollkosten von rund 4 bis 5 Rp./kWh aufweist.

Die Funktion der Grosshandelsmärkte erklärt, warum dies so ist. Vereinfacht gilt: Der Strompreis wird durch die Betriebskosten der Anlagen festgelegt, die zeitgenau den Markt bestimmen. Betriebskosten sind zum Beispiel Brennstoffkosten. Die Investitionskosten werden jedoch nicht berücksichtigt. In Stunden, in denen Anlagen mit tiefen Betriebskosten den Markt dominieren, ist auch der Strompreis tief.

Die Betriebskosten sind bei Wasser-, Wind- und Solarkraftwerken besonders tief. Sind diese Kraftwerke einmal gebaut, produzieren sie fast ohne Kosten. Ein Strommarkt mit ausschliesslich solchen Kraftwerken würde daher sehr tiefe Strompreise aufweisen. Damit verhalten sich diese Kraftwerke wie eine Strasse. Bis zur Sanierung verursacht der Betrieb der Strasse nur geringe Betriebskosten und auch kaum Einnahmen. Das Geld für Bau wie Sanierung muss der Besitzer der Strasse anderweitigbeschaffen, zum Beispiel über Benzinabgaben. Ein solcher Mechanismus für die Refinanzierung fehlt bei Kraftwerken.

Diese absurde Situation wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen. Zwar benötigen wir neue, andere Kraftwerke. Deren Bau rentiert jedoch für Investoren nur, wenn parallel dazu eine Finanzierung der Investition sichergestellt wird. Im Moment ist dies über die kostendeckende Einspeisevergütung KEV der Fall. Beschliesst die Politik, die KEV auslaufen zu lassen, muss sie dafür sorgen, dass trotzdem Investitionsanreize bestehen bleiben.

Fazit

Zusammenfassend kann man also festhalten, dass die Technologien, welche es braucht, um die Klima und Energiewende zu schaffen, vorhanden sind oder kurz vor der Marktreife stehen. Wir dürfen optimistisch sein, dass es gelingt, dank Innovation auch die letzten verbleibenden Fragen zu klären. Entscheidend ist, dass die Politik Rahmenbedingungen schafft, die diesen Technologien zum Durchbruch verhelfen.

[1] In der 1-t-CO2-Gesellschaft liegt der durchschnittliche Pro-Kopf-Ausstoss von CO2 bei einer Tonne. Gemäss früheren Prognosen der Klimawissenschaft würde dies ausreichen, den Klimawandel zu begrenzen. [2] swisscleantech hat eine umfassende Liste von Bedingungen erstellt, die neue Technologien erfüllen müssen: www.swisscleantech.ch/Technologiekriterien