Eine Überschlagsrechnung macht klar: Wenn die Schweizer Kernkraftwerke gegen Ende der Dreissigerjahre ausser Betrieb gesetzt werden und bis dahin nicht genügend Ersatzkapazitäten zur Verfügung stehen, klaffen Angebot und Nachfrage beim Strom auseinander. Trotz möglichen Einsparungen in vielen Bereichen dürfte die Stromnachfrage aufgrund der neuen Technologien, die es für den Klimaschutz braucht, steigen (Elektrifizierung von Gebäudebeheizung und Verkehr).
Stromimporte sind möglich, jedoch nur begrenzt ausbaubar. Dank der Speicherseen sind die Herausforderungen in der Schweiz bezüglich der kurzfristigen Versorgungsicherheit zwar eher gering. Das bestätigt einmal mehr die neu aufgelegte «System Adequacy»-Studie des Bundes. Speicherseen sind ausgesprochen gut geeignet, die fluktuierende Produktion auszugleichen. Allerdings können sie diese Funktion gegen Ende des Winters nicht mehr wahrnehmen, wenn vorher zu grosszügig Strom produziert wurde und die Seen leer sind.
Grosse Anlagen fördern
Will die Schweiz nicht einseitig vom Import und der Lieferfähigkeit des Umlandes abhängig sein, reicht es nicht, alleine auf die aktuell boomenden Kleinanlagen zu setzen. Es ist notwendig, auch in zusätzliche, grosse Produktionsanlagen zu investieren. Das bestätigt auch das Ende Februar veröffentlichte Grundlagenpapier der eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom). Alle Studien der letzten Jahre zeigen, dass das Angebot vor allem im Winter sehr viel knapper sein wird als die Nachfrage, so dass die Versorgungssicherheit gefährdet wird.
Damit die Schweiz das Pariser Klimaabkommen erfüllen kann, müssen neue Anlagen erneuerbaren Strom liefern. Dafür braucht es Investitionsanreize, gerade für grosse Anlagen. Derzeit werden kaum mehr grosse PV-Anlagen, Wasserkraftanlagen oder Windturbinen gebaut.
Kriterien für Investitionsanreize
In einer umfassenden Analyse hat swisscleantech in einem Diskussionspapier 17 Eigenschaften identifiziert, die mögliche Anreizsysteme beschreiben. Dabei stechen zwei Aspekte hervor: Investitionsanreize müssen erstens marktnahe und zweitens problembezogen gesetzt werden. Der erste Aspekt spricht eindeutig für die Durchführung von Auktionen. Aus dem zweiten Kriterium folgt, dass Investitionsanreize so gesetzt werden sollten, dass Winterstrom bevorzugt wird.
swisscleantech stellt deshalb einen neuen Ansatz zur Diskussion: Ausschreibungen sollen in Zukunft saisonal erfolgen. Konkret soll nur noch Strom entschädigt werden, der im Winter produziert wird. Strom, der im Sommer produziert wird, soll nicht oder nur noch beschränkt unterstützt werden.
Paradigmenwechsel in der Strompolitik
Dies entspricht einem Paradigmenwechsel. Warum macht das Sinn? Aufgrund der Technologieentwicklung ist es absehbar, dass in den nächsten 30 Jahren, in denen die Stromversorgung neu ausgerichtet wird, nur Photovoltaik- und Windanlagen in der Lage sind, so signifikante zusätzliche Produktionskapazitäten zur Verfügung zu stellen. Wegen der begrenzten Windpotentiale in der Schweiz kommt Photovoltaik eine entscheidende Bedeutung zu. Solaranlagen produzieren jedoch rund zwei Drittel der Energie im Sommer und nur rund einen Drittel im Winter.
Für Winterstrom optimierte Anlagen
Hier besteht jedoch Optimierungspotential. Je nach Lage und Exposition können Solaranlagen bis zu 50% ihrer Produktion im Winter zur Verfügung stellen. Im Mitteland ist der Winterstromanteil bei PV-Anlagen, die in die Fassade integriert, deutlich höher. Genauso bei Anlagen in schneereichen Regionen: Sie profitieren von der Reflexion des Sonnenlichts im Winter. Ein innovatives Beispiel dafür ist die PV-Anlage, welche die Axpo an der Staumauer des Muttsees installieren will.
Werden die Anreize so ausgestaltet, dass Winterstrom deutlich besser entschädigt wird, animiert dies Anlagenbetreiber, ihre Anlagen so zu bauen dass sie für die Winterstromproduktion optimiert sind.
Überschüssigen Strom speichern
Selbst Anlagen, die auf Windstrom ausgerichtet sind, werden einen grossen Anteil ihrer Produktion im Sommer zur Verfügung stellen. Auch für dieses Stromangebot kann eine sinnvolle Nachfrage geschaffen werden: Über Power-to-X-Technologien lassen sich mit überschüssigem erneuerbarem Strom lagerfähige Energieträger wie synthetisches Methan oder synthetisches Benzin herstellen. Diese Energieträger können vor allem im Langstreckentransport eine wichtige Rolle spielen.