Biodiversität ist ein wichtiges Gut, das es zu schützen gilt. Ob die Biodiversitätsinitiative dazu einen Beitrag leistet, kann unterschiedlich beurteilt werden. Die Formulierung der Initiative ist – gemäss dem Ziel einer jeden Verfassung – sehr allgemein gehalten: Je nach Lesart ist die Initiative daher eine allgemeine Deklaration, die mit Leben gefüllt werden muss – oder das Ende der Landwirtschaft in der Schweiz und eine starke Bremse für den Ausbau der erneuerbaren Energieproduktion.
So leitet die Gegnerschaft der Initiative aus dem Initiativtext ab, dass 30% der Landwirtschaftsflächen in der Schweiz in Zukunft für die Biodiversität stillgelegt werden müssten. Dieser Schluss ist weit hergeholt und illustriert das Problem der Initiative sehr gut. Denn dieses Ziel ist nicht Teil der Initiative, es ist die Empfehlung der Wissenschaft zur Förderung der Biodiversität in der Schweiz. Deshalb: Dass wir in der Schweiz erhebliche Defizite in der Biodiversität ausweisen müssen, liegt an den Mängeln in der Umsetzung von Massnahmen. Als einfache Deklaration der Schutzwürdigkeit ist die Initiative nicht notwendig, weil sich aus der Verfassung bereits heute die Verpflichtung zum Schutz der Biodiversität ableiten lässt.
Deshalb ist das richtige Mittel zur Stärkung der Biodiversität in der Schweiz nicht ein neuer Verfassungsartikel, sondern ein Bekenntnis zu einer konsequenten Umsetzung. Die dazu notwendigen gesetzlichen Grundlagen muss das Parlament legen – ein nachdoppelnder Verfassungsartikel hilft da wenig. Der Handlungsbedarf ist da: In seinem Bericht zur Biodiversität in der Schweiz von 2023 hält das Bundesamt für Umwelt fest, dass insgesamt 50% aller wertvollen Lebensräume – darunter insbesondere naturnahe Gewässerräume – bedroht sind. Dabei geht es nicht um den Verlust einzelner Arten, sondern um den grossflächigen Verlust von ganzen Ökosystemen.
«Alle Indikatoren zeigen, dass die Biodiversität in der Schweiz weiter abnimmt. Diese Bestandesaufnahme ist nicht das Ergebnis eines einzigen Berichts, sondern wissenschaftlicher Konsens. Die [aktuellen] Anstrengungen reichen nicht aus, um den beobachteten Rückgang zu stoppen.»
Loïc Pellissier
Professor für Ökosysteme und Landschaftsevolution, ETH Zürich
im Tagesanzeiger vom 27. Juli 2024
Deshalb hat sich swisscleantech während der parlamentarischen Behandlung der Initiative stark für einen indirekten Gegenvorschlag eingesetzt hat. Dieser hätte konkrete, messbare Ziele und Massnahmen enthalten – was die Biodiversität in der Schweiz wirklich gefördert hätte. Leider hat das Parlament dieses Gesetzesprojekt versenkt, weshalb die Initiative nun am 22. September zur Abstimmung kommt. Eine herbe Enttäuschung und angesichts der Dringlichkeit des Problems ein Versagen der politischen Institutionen.
An der kritischen Beurteilung der Volksinitiative ändert dies jedoch nichts. Darum wird sie von swisscleantech weiterhin nicht unterstützt. Neben genanntem Zweifel an der Zweckmässigkeit stossen wir uns daran, dass in der gleichen Initiative auch Denkmalschutz und Landschaftsschutz zementiert werden. Es ist klar, dass in diesen beiden Bereichen mehr Dialog und die Bereitschaft zu Kompromissen zugunsten einer stabilen und nachhaltigen Energieversorgung notwendig sind.
Landschaft und Gebäude waren immer Veränderungen unterworfen – diese Veränderungen stören vor allem das Auge. In Anbetracht der existentiellen Herausforderungen der Klimakrise muss diese vorwiegend ästhetische Dimension zurücktreten.
Auch bei der Biodiversität gilt es kluge Abwägungen zu machen. Deren Bedeutung ist aber für die Volkswirtschaft essenziell: Unsere heutige Nahrungsmittelproduktion ist ohne Bestäubung vielfältiger Insekten unbezahlbar, der Beitrag gesunder Schweizer Wälder ist für die Gesundheit der Bevölkerung gross. Mehr noch: verstärkter Landschaftsschutz könnte sogar die Bemühungen um die Biodiversität schmälern, weil beispielsweise der Widerstand gegen Windenergie den Druck auf die letzten Fliessgewässer erhöhen wird.
Unter dem Strich heisst das: Keine Unterstützung der Initiative, aber ein Ja zum Handlungsbedarf! Es braucht eine konsequente Umsetzung des Aktionsplans Biodiversität und klare Ziele auf Gesetzesebene.