In den letzten zehn Jahren haben innovative Produkte und Lösungen der Wirtschaft zu einem dynamischen Wachstum verholfen. Technologien, die nachhaltigeres Wirtschaften ermöglichen, wurden zur Marktreife weiterentwickelt und fanden breite Anwendung. Gleichzeitig lassen sich dank der digitalen Transformation viele Prozesse effizienter, nachhaltiger und kostengünstiger gestalten.
Deutlich wurde in den letzten Jahren auch, dass der steigende Energiebedarf, das Bevölkerungswachstum, die Industrialisierung und die Urbanisierung das Klima aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Gefragt sind saubere Technologien, die Emissionen reduzieren und die Materialund Energieeffizienz steigern. Diese werden oft unter dem Begriff Cleantech zusammengefasst. Cleantech kann wesentlich dazu beitragen, die Welt fit für die Zukunft zu machen. Die Schweiz hat die Möglichkeit, mit innovativen Lösungen viel zu diesem Prozess beizusteuern.
Matthias Bölke, Präsident swisscleantech (bis März 2019)
Die kommenden zehn Jahre werden zeigen, ob die Menschheit es schafft, die hohen Folgekosten des Klimawandels einzuschränken oder gar zu vermeiden. Entscheidend wird es sein, neue Technologien gezielt einzusetzen, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen und die Gesellschaft modern und progressiv zu gestalten. Wie das möglich werden kann, zeigt diese Publikation.
in eine nachhaltige Zukunft 12 étapes vers un
avenir durable
#1 Gebäude auf Effizienz trimmen
#2 Wärme ohne CO2 produzieren
#3 Verkehr elektrifizieren
#4 Mobilitätsketten bilden und die Arbeit flexibilisieren
#5 Nachhaltige Stromproduktion steigern
#6 Neue Anreize im Strommarkt setzen
#7 In Stromnetze und Speicher investieren
#8 Die billigste Energie ist die nicht verbrauchte
#9 Power-to-X: Mit Solarenergie Wasser spalten
#10 Kreislaufwirtschaft fördern
#11 CO2 braucht weltweit einen Preis
#12 Vorteile der Digitalisierung nutzen
Das Pariser Klimaabkommen definiert das Ziel: Wir müssen den globalen Temperaturanstieg auf unter 2 Grad Celsius, wenn möglich unter 1,5 Grad halten. Damit dies möglich wird, muss die Welt bis spätestens 2050 CO2-neutral sein – so lautet der eindeutige Befund der Klimaforschung. Das heisst: Es darf künftig nicht mehr CO2 ausgestossen werden, als aus der Atmosphäre entnommen wird.
Die Fachleute sind sich einig: Es ist möglich, dieses Ziel zu erreichen. Dafür müssen wir unsere Energieversorgung bis 2050 vollständig auf erneuerbare Energien umstellen. Verschiedene Studien zeigen, dass dies bereits mit den heutigen Technologien machbar ist – und weitere Innovationen werden zusätzliche Möglichkeiten eröffnen.
Damit ist die Ausgangslage eine völlig andere als in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Damals wurde der Klimawandel zum ersten Mal breit diskutiert, Lösungen schienen nur durch Verzicht möglich. Heute stehen die Chancen gut, dass wir einen Weg finden, unsere Lebensqualität auf hohem Niveau zu halten oder gar zu steigern und den Klimawandel trotzdem einzudämmen.
Was ist heute anders? Kaum jemand hat damals die enormen technologischen Entwicklungen vorausgesehen. Sie ermöglichen uns einen klimaverträglichen Wohlstand. Wie das realisierbar ist, wollen die Autoren anhand dieser Publikation zeigen.
Die Vision ist die freundliche Schwester der Apokalypse. Beide entwerfen eine mögliche Zukunft, die aber nicht zwingend so eintreten muss. In den letzten Jahren wurde deutlich häufiger in Apokalypsen gedacht; wir nehmen uns kaum noch die Mühe, auch Bilder für eine positive Zukunft zu entwickeln. Bilder aber sind mächtig. Darum entwerfen die Autoren mit dieser Publikation ein positives Bild – eines, das zeigt: Ja, es geht! Die Überlegungen fokussieren dabei in erster Linie auf das Treibhausgas CO2, weil hier die Aufgaben – aber auch die Lösungsmöglichkeiten – besonders gross sind. Massnahmen zur Reduktion anderer Treibhausgase sind natürlich ebenfalls wichtig und müssen parallel vorangetrieben werden.
Die zwölf Kapitel dieser Publikation zeigen, wie eine moderne Welt – und mit ihr die Wirtschaft – beschaffen sein muss, damit die Ziele des Pariser Abkommens erreicht werden können. Der Weg dahin ist eine Herausforderung, aber auch eine grosse Chance. Denn die nötige Umgestaltung unserer Infrastrukturen schafft neue Geschäftsfelder, die es zu nutzen gilt. swisscleantech ist überzeugt, dass die Schweizer Firmen von diesen Chancen profitieren können. Die Stärke der Schweizer Wirtschaft ist die Innovation – und genau dies braucht es bei der Gestaltung einer klimafreundlichen Zukunft.
Auf diesem Weg ist die Schweiz nicht allein. Länder wie Schweden, Grossbritannien und die Niederlande setzen sich schon heute ambitioniertere Ziele als die Schweiz. Auch China engagiert sich; das Land tätigte beispielsweise 2016 einen Drittel der globalen Investitionen in erneuerbare Energien. Sogar die USA versagen ihrem Präsidenten klimapolitisch den Gehorsam. Zehn Teilstaaten, darunter Kalifornien und New York, und mehr als 270 Städte haben klar gemacht, dass sie die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens weiterhin erfüllen wollen: «We are still in.»
Die Schweiz als innovative Nation muss bei den Vorreitern dabei sein. Weil dies wirtschaftliche Chancen bietet und weil wir gemeinsam mit anderen engagierten Ländern eine Vorbildfunktion haben können. Das wiederum schafft Raum für weitere Innovationen und zeigt neue Lösungswege auf. swisscleantech sagt deshalb: «We are in.» Jetzt fehlen nur noch Sie.
Gebäude sind verantwortlich für 50 Prozent des Energieverbrauchs und 26 Prozent der CO2-Emissionen der Schweiz. Sie sind deshalb ein wichtiger Faktor im Engagement gegen den Klimawandel; ihre energetische Optimierung liefert einen bedeutenden Beitrag zur Lösung.
weniger Energieverbrauch Das Haus an der Güterstrasse in Basel sieht nach der Sanierung immer noch aus wie eines aus dem Jahr 1911. Aber es verbraucht jetzt massiv weniger Energie, obwohl die Wohnfläche um 35 Prozent vergrössert wurde. Die Architekten von In Situ erreichten dieses eindrückliche Resultat, indem sie alle Schwachstellen in der Dämmung verbesserten – etwa bei Storenkästen und Türen. Ausserdem kam ein Aerogel-Wärmedämmputz zum Einsatz. Dieser reduziert selbst als dünne Schicht den Wärmeverlust über die Fassade um 50 Prozent. Auf der Hofseite wurde die Wohnfläche mit einer vorgelagerten, voll verglasten Holzbaufassade vergrössert. Fazit: Eine gut geplante Gesamtsanierung führt zu reduziertem Energieverbrauch, schafft dank grösserer Wohnfläche einen finanziellen Mehrwert und unterstützt die Anstrengungen zur baulichen Verdichtung in den Innenstädten.
Bezüglich Energieeffizienz hat die Bautechnik in den letzten 30 Jahren enorme Fortschritte gemacht. Moderne Bauten sind nicht nur sparsam im Energieverbrauch, sie bieten ausserdem sowohl im Winter wie auch im Sommer einen besseren Wohnkomfort. Im Sommer kann ein solches Gebäude durch Nachtauskühlung angenehm frisch gehalten werden, weil am Tag die Wärme nicht ins Haus dringt. Im Winter entsteht dank guter Isolation eine hohe Oberflächentemperatur an Wänden und Fenster, welche für ein angenehmes Raumklima sorgt.
Bei Neubauten ist Energieeffizienz heute bereits die Norm. Der Weg zu einem klimafreundlichen Schweizer Gebäudepark führt deshalb in erster Linie über eine Modernisierung der bestehenden Immobilien. Viele der Technologien, die bei Neubauten zum Einsatz kommen, lassen sich auch bei Sanierungen einsetzen. Zudem kommen ständig neue Produkte auf den Markt, beispielsweise Dämmmaterialien auf der Basis von Aerogel, die eine deutlich dünnere Wärmedämmschicht erlauben. Das lässt den Architekten mehr Gestaltungsfreiraum und ermöglicht die Sanierung von historischen Bauten, ohne dass sich deren Erscheinungsbild verändert. Auch Solarmodule sind heute in diversen Farben und Formen erhältlich; dank stark gesunkener Preise sind sie auch für weniger stark besonnte Flächen erschwinglich. Deshalb setzen Architekten immer öfter Solarfassaden als attraktive Gestaltungselemente ein.
Die Modernisierung eines Gebäudes wird am besten im Rahmen eines grösseren Umbaus realisiert. So lassen sich Verbesserungen bei Komfort, Lärmschutz, Grundrissen und Wohnklima optimal mit mehr Energieeffizienz kombinieren. Vergrössert das Projekt gleichzeitig die Gebäudefläche, sind solche Modernisierungen oft sehr rentabel. Investoren, die langfristig denken, setzen aber auch ohne Zusatzrenditen auf eine umfassende Erneuerung, denn zu lange aufgeschobener Unterhalt führt oft zu Schäden an der Bausubstanz.
Im Moment liegt die jährliche Modernisierungsrate jedoch nur bei etwa einem Prozent bezogen auf den Bestand. Damit die Ziele des Klimaabkommens von Paris erreicht werden, muss diese Zahl auf zwei Prozent steigen. Nur so lassen sich in den nächsten 40 Jahren grosse Teile der vor 1980 gebauten und schlecht isolierten Immobilien sanieren. Um die Rentabilität solcher Modernisierungen zu verbessern, braucht es längere Anlagehorizonte – bei Dämmungen zum Beispiel bis zu 40 Jahre. swisscleantech ist überzeugt, dass auch 40-jährige Abschreibungszyklen attraktiv gestaltet werden können – dank neuer, innovativer Partnerschaften der Bau- und Finanzindustrie und des Staates.
Aber auch eine konsequente Automatisierung birgt viel Sparpotenzial. Selbst in neuen Wohnhäusern steckt zum Teil noch deutlich weniger Intelligenz als in einem Kaffeeautomaten. Dabei lassen sich speziell in technisch anspruchsvollen Gebäuden allein durch eine bessere Regelungstechnik oft 30 Prozent Energie oder sogar mehr einsparen. Das macht eine Automatisierung sehr oft schon nach weniger als fünf Jahren rentabel. Bei allen Gebäuden, die äusserlich noch gut im Schuss sind, ist eine verbesserte Regelungstechnik deshalb der erste Schritt auf dem Weg zu mehr Energieeffizienz.
Öl- und Gasheizungen überall durch eine Wärmepumpe oder Holzheizung ersetzen, um CO2 zu reduzieren? Das ist nur die zweitbeste Lösung, denn optimal ist eine Kombination besserer Dämmung mit erneuerbaren Energieträgern. Der Grund: Das Potenzial der erneuerbaren Energieträger ist zwar deutlich grösser als die Energienachfrage, es bleibt jedoch aufwendig, diese Energie immer zur richtigen Zeit zur Verfügung zu stellen. Deshalb ist eine effiziente Nutzung auch in Zukunft wichtig.
Klarer Favorit beim Heizen ist und bleibt aber die Wärmepumpe. Bei Neubauten hat sie bereits heute einen Marktanteil von 80 bis 90 Prozent. Neu nimmt ihre Bedeutung auch in Altbauten zu – besonders erfolgreich ist dieser Weg in Kombination mit einer Verbesserung der Dämmung. Aus energetischer Sicht sind vor allem Wärmepumpen sinnvoll, die Erd-, Grundwasser-, Seewasseroder Abwärme nutzen. So gelingt es, mit wenig Strom Wärme bereitzustellen. Dies entlastet die Stromproduktion im Winter.
Speziell in dicht besiedelten Gebieten sind Wärmeverbundlösungen ideal. Anstelle einer Vielzahl von Heizungen gibt es nur noch eine Zentrale. Solche Netze ermöglichen es, Heizen und Kühlen zu kombinieren und die Abwärme aus industriellen Anlagen und Rechenzentren sinnvoll zu nutzen. Besonders interessant sind Niedertemperaturnetze, in denen Wasser im Temperaturbereich von 10 bis 30 Grad Celsius zirkuliert. Dank Wärmepumpen lässt sich ein solches Netz zum Kühlen wie auch zum Heizen nutzen. Wird ein Wärmenetz mit einem Erdsondenfeld kombiniert, kann zudem Energie gespeichert werden – indem beispielsweise im Sommer warmes Wasser produziert wird, mit welchem der Untergrund erwärmt wird. Diese Energie wird tief in der Erde gespeichert und kann im Winter wieder für den Betrieb der Heizung genutzt werden.
Grosses Zukunftspotenzial hat auch die Tiefengeothermie. Hier gehen die Bohrungen in mehrere Tausend Meter Tiefe, um die Energie des heissen Gesteins im Erdinnern zu nutzen. Besonders in dicht besiedelten Gebieten oder in Kernstädten, die teilweise über einen Gebäudebestand verfügen, der sich energetisch nicht optimal verbessern lässt, könnte die Geothermie als Energielieferant für Wärmenetze eine interessante Lösung sein. Auch die Abwärme von Abfallbehandlungsanlagen kann für solche Netze als Energiequelle dienen.
Daneben spielen Wärmekraftkopplungsanlagen in Zukunft eine wichtige Rolle. Diese Anlagen produzieren Strom und liefern gleichzeitig Wärme, die sowohl für ein einzelnes Gebäude wie auch für einen Wärmeverbund genutzt werden kann. Besteht ein Bedarf sowohl für Strom wie auch für Wärme, weisen solche Anlagen einen hohen Wirkungsgrad auf. Und kommt beim Betrieb Energie aus CO2-freien Quellen zum Einsatz, zum Beispiel aus Biogas, ist der Beitrag zum Klimaschutz gross.
Ob Holz im Jahr 2050 noch eine grosse Rolle in der Beheizung von Gebäuden spielt, wird sich zeigen. Denn Holz ist eigentlich dafür prädestiniert, Wärme im Bereich von 100 bis 300 Grad Celsius zu produzieren, was es speziell für industrielle Prozesse attraktiv macht. Es wird künftig zudem als Rohstoff in der chemischen Industrie, in der Teilefertigung und im Bau eine deutlich grössere Rolle als heute spielen. Für die Waldwirtschaft bringt der Klimaschutz also neue Marktchancen.
Wir alle sind gerne unterwegs – das sollte aber nicht auf Kosten der Umwelt gehen: Heute ist der Verkehr mit 32 Prozent einer den grossen Treibhausgasemittenten. Elektrofahrzeuge werden hier für eine Verbesserung sorgen. Elektromobile sind herkömmlichen Fahrzeugen bezüglich Energieeffizienz, CO2-Emissionen und auch Abgasen deutlich überlegen – insbesondere wenn der verwendete Strom aus erneuerbaren Quellen stammt. Dank grosser Fortschritte in der Batterietechnologie werden die Fahrzeuge auch bezüglich Einsatzdistanz immer leistungsfähiger. Ein Tesla S oder ein Opel Ampera legt mit einer Ladung bereits mehr als 400 Kilometer zurück. Das reicht locker, denn die durchschnittliche Tagesfahrleistung der Fahrzeuge in der Schweiz liegt bei 38,5 km; der grösste Teil dieser Strecke wird in den Agglomerationen zurückgelegt. Distanz spielt also in den wenigsten Fällen eine Rolle.
Entscheidend ist: Elektromotoren sind viel wartungsarmer als Verbrennungsmotoren und auch günstiger in der Herstellung. Hauptkostenfaktor sind heute die Batterien; sie machen bis zu 50 Prozent des Fahrzeugpreises aus. Doch die Akkupreise fallen drastisch – zurzeit um rund 20 Prozent pro Jahr. Ab etwa 2025 dürfte ein Elektrofahrzeug günstiger sein als ein Auto mit Verbrennungsmotor.
Für lange Fahrten ohne Unterbrechung ist die heutige Batterietechnologie weniger geeignet, deshalb werden vermutlich vor allem im Güterverkehr auch in Zukunft Fahrzeuge mit flüssigen oder gasförmigen Treibstoffen unterwegs sein. Brennstoffzellen dürften in diesen Fahrzeugen die Batterien ersetzen, denn in Kombination mit elektrischer Antriebstechnologie sind sie deutlich effizienter als heutige Verbrennungsmotoren. Möglicherweise werden sich aber auch Lastwagen durchsetzen, die ähnlich wie Trolleybusse auf den Autobahnen Strom von Oberleitungen beziehen. In Schweden werden soeben Versuchsstrecken für solche Fahrzeuge eingerichtet.
Ein weitgehend elektrifizierter Verkehr bringt neue Möglichkeiten. Autos stehen heute einen grossen Teil der Zeit ungenutzt herum – und dies an sehr unterschiedlichen Orten. Künftig könnten Fahrzeuge während dieser Zeit mit dem Stromnetz verbunden werden und mithelfen, dieses zu stabilisieren, indem ihre Akkus als Puffer dienen. Wie gross das Potenzial ist, lässt sich allerdings erst sagen, wenn sowohl die Art der Infrastruktur wie auch der Betriebsmodus der Fahrzeuge klarer absehbar ist. Setzt sich beispielsweise das autonome Fahren durch (siehe Kapitel 4), werden die Kilometerleistungen pro Fahrzeug höher und die Standzeiten kürzer. Dann hätten die Batterien eine kleinere Bedeutung bezüglich Stabilisierung des Stromnetzes.
Spannende Entwicklungen gibt es auch im Flugverkehr. Auf Kurz- und Mittelstrecken könnte sich das elektrische Fliegen durchsetzen, für Langstrecken bieten sich synthetische Energieträger an, wie sie in Kapitel 9 vorgestellt werden. Möglicherweise wird das Fliegen etwas langsamer, da Düsentriebwerke anders als der Propellerantrieb dem Klima in jedem Fall zusetzen, auch wenn sie mit neuen Treibstoffen CO2-neutral werden: Düsenflugzeuge bringen Wasserdampf in hohe Atmosphärenschichten, was den Klimawandel verstärkt. Deshalb gehört die Zukunft anderen Antriebsformen.
Was neue Technologien ermöglichen, zeigt exemplarisch das Beispiel des autonomen Fahrens. Dadurch können einerseits mehr Fahrzeuge auf den bestehenden Infrastrukturen verkehren, andererseits werden plötzlich neue Tür-zu-Tür-Verbindungen möglich. Und das möglicherweise, ohne dass wir ein eigenes Fahrzeug besitzen – weil wir mit Mobilitätsketten schnell und kostengünstig unseren Zielort erreichen. Vielleicht holt uns bald das automatische Ruftaxi zu Hause ab und bringt uns zum Hauptverkehrsknoten, wo wir in die Schnellbahn umsteigen – zum Beispiel in einen Hyperloop-Zug, der nahezu Überschallgeschwindigkeit erreicht.
Die Zukunft lässt sich mit dem Begriff «Mobility as a service» zusammenfassen: Über eine App geben wir unser Mobilitätsbedürfnis ein, der Service berechnet verschiedene Transportoptionen und bewertet diese zum Beispiel nach Kosten, Zeitbedarf und Umweltauswirkung. Je mehr Reisevarianten miteinander verbunden werden, umso grösser ist die Auswahl. Die Nutzer wählen dann zwischen öffentlichem Verkehr, Mietauto, Mitfahrgelegenheit und Velo und können, wenn sie selber mit einem Fahrzeug unterwegs sind, die freien Plätze auf der Plattform anbieten.
Eine integrierte App würde es erleichtern, sämtliche Kosten für die Mobilität auch wirklich dem Nutzer zu übertragen. Ein besonders wichtiger Faktor fliesst heute noch kaum in die Berechnung mit ein: die Kosten des Raumverbrauchs. Fahren zwei Arbeitnehmer während der Stosszeit mit dem eigenen Auto von A nach B, vergrössert dies den Stau. Würden sie gemeinsam in einem Auto reisen, würden sie nur den halben Platz beanspruchen. Nähmen sie gar den Zug, wäre der Platzbedarf nochmals rund zehnmal kleiner. Die Raumnutzung kostet sie gegenwärtig aber immer gleich viel – nämlich nichts.
Solange das heutige System den Verkehr schlucken kann, stört die fehlende Abrechnung der Raumkosten niemanden. Stehen aber alle im Stau, wird regelmässig der Ruf nach einem Ausbau laut. Dieser ist sehr teuer und stellt selten eine echte Lösung dar – weil der Stau meist nur verlagert wird. Preisliche Anreize könnten helfen, die bestehende Infrastruktur effizienter zu nutzen und gerechter zu finanzieren.
Aber auch neue Arbeitsformen helfen mit, das Verkehrsmanagement zu verbessern. Flexible Arbeitszeiten ermöglichen das Pendeln ausserhalb der Stosszeiten; Homeoffice-Lösungen sparen Zeit, verringern den Pendlerstress und die Reisekosten. Moderne Kommunikationsmittel erlauben es in vielen Fällen, den Arbeitsort frei zu wählen, und auch virtuelle Meetings lassen sich in guter Qualität und über weite Distanzen organisieren, ohne dass die Teilnehmenden sich physisch treffen. Voraussetzung für eine solche Arbeitsorganisation ist eine neue Vertrauenskultur: Arbeitsleistung darf nicht mehr automatisch mit Präsenz am Arbeitsplatz gleichgesetzt werden.
Doch auch wenn Videokonferenzen mittlerweile in beeindruckender Qualität möglich sind: Soziale Kontakte bleiben wichtig. Deshalb entstehen im ganzen Land neue Arbeitsorte, sogenannte Co-working-Spaces, wo man sich für eine Tages-, Wochen-, oder Monatspauschale einmieten kann. Diese Orte finden sich künftig nicht nur in den Zentren, sondern verstärkt auch in der Agglomeration. Damit verkürzt sich die Pendlerstrecke auf die Distanz vom Zuhause zum lokalen Co-working-Space. Das entlastet die Korridore zwischen den Zentren und ermöglicht ganz neue Businessmodelle.
Weltweit boomen die Investitionen in erneuerbare Energieformen. Die Wachstumsraten der Solar- und der Windenergie liegen seit gut einem Jahrzehnt Jahr für Jahr im zweistelligen Prozentbereich. Das ist gut für die Preise, denn diese sinken – besonders deutlich bei der Solarenergie. Lagen die Produktionskosten 1990 noch bei etwa zwei Franken pro Kilowattstunde, sind sie inzwischen in Grossanlagen auf fünf Rappen gesunken. Mit anderen Worten: Solar- und Windenergie liegen heute bezüglich Produktionskosten auf gleichem Niveau wie die etablierten Technologien oder sind sogar günstiger. Dies gilt erst recht, wenn auch die externen Kosten für Luftverschmutzung und Klimawandel mitberücksichtigt werden. Unter diesem Aspekt ist erneuerbarer Strom schon heute konkurrenzlos günstig.
Heute stellt die Schweiz ihre Stromversorgung weitgehend durch eigene Produktion sicher. Schrittweise werden die Schweizer Kernkraftwerke in den kommenden zwei Jahrzehnten vom Netz gehen. Dieser Produktionsausfall muss ersetzt werden, wobei die Herausforderung im Winter grösser ist. Kraftwerke auf der Basis fossiler Energieträger sind wegen des Klimawandels keine langfristige Option. Deshalb ist es richtig, von Anfang an auf erneuerbare Energien zu setzen.
Grundsätzlich ergänzen sich Sonnenund Windenergie sehr gut: Windturbinen liefern zwei Drittel ihrer Energie im Winter, Solaranlagen zwei Drittel im Sommer – damit ist es möglich, mit den beiden Technologien über das ganze Jahr genügend Strom zu produzieren. Die Potenziale beider Technologien sind in ganz Europa sehr gross und heute bei Weitem nicht voll ausgeschöpft. Das gilt auch für die Schweiz: Hier besteht insbesondere ein grosses, ungenutztes Potenzial bei der Solarenergie, vor allem auf den Gebäudeflächen. Das Potenzial an geeigneten Standorten bei Windenergie hingegen ist kleiner und ermöglicht eine Produktion von maximal zehn Prozent des Strombedarfs.
Dies schränkt die Möglichkeiten zur Stromproduktion mit erneuerbaren Energieträgern im Winter ein – auch wenn die Wasserkraft in der Schweiz vieles abpuffern kann. Ein Ausbau der Photovoltaikanlagen (PV) lohnt sich aber auch im Hinblick auf den Winterbedarf, so liefert eine PV-Anlage über den Winter immerhin einen Drittel ihrer Jahresproduktion.
Wie gross die Versorgung mit selber produziertem Strom in der Schweiz sein soll, ist aber letztlich eine politische Frage und weniger eine technische. Simulationen zeigen, dass eine Vollversorgung auch künftig möglich wäre – kostenoptimal wäre sie vermutlich nicht. Es erscheint deshalb sinnvoll, wenn die Schweiz auf einen optimalen Mix aus Eigenproduktion und Import setzt. Schon heute engagieren sich Schweizer Energieversorger im Ausland, indem sie selber Anlagen bauen oder sich an ausländischen Anlagen finanziell beteiligen.
Bei allem Potenzial von Solar- und Windkraft: Es ist wichtig, gegenüber anderen Technologien offen zu bleiben. swisscleantech hat deshalb bereits 2014 eine Liste von Positivkriterien zusammengetragen, die neue Energietechnologien zu erfüllen haben. Da jedoch die Kosten für Strom aus erneuerbaren Quellen stark gesunken sind (und dies weiter tun werden), ist es sehr wahrscheinlich, dass sich erneuerbare Energieträger – vor allem Sonne, Wind, Wasserkraft, aber auch Biomasse – als Basis für die Stromproduktion weltweit durchsetzen werden.
Das Engagement gegen den Klimawandel macht es nötig, den Anteil der erneuerbaren Energien schnell zu erhöhen, denn jede Kilowattstunde Strom aus solchen Anlagen reduziert den CO2-Ausstoss signifikant – erst recht, wenn die Energie effizienter als heute genutzt wird. Die Produktion von Solaranlagen und Windturbinen ist allerdings wetterabhängig – wie übrigens auch diejenige der Wasserkraftanlagen. Die Produktion verläuft also nicht immer parallel zum Bedarf. Gleichzeitig sinken aber die Kosten für die direkte Speicherung; es gibt hier vielversprechende neue Ansätze.
Dadurch entsteht eine neue Wertschöpfungskette: Strom aus Photovoltaikanlagen wird in Zukunft noch etwa fünf Rappen pro Kilowattstunde kosten – oder sogar weniger. Der Ausbau von Anlagen zur Produktion von erneuerbarem Strom kann jedoch dazu führen, dass nicht immer alles sofort abgenommen wird, weil die Nachfrage fehlt. Der «Überschussstrom » wird gespeichert und später wieder auf den Markt gebracht. Der Ertrag dieses zeitversetzten Verkaufs wird ausreichen, um die Investitionskosten der Anlagen, die zur Speicherung benötigt werden, zu decken.
Einen Beitrag zur Amortisation der Solaranlage liefert er hingegen nicht. Selbst wenn 30 Prozent des Stroms nur zeitverschoben Verwendung finden, ist Strom aus erneuerbaren Energieträgern mit etwa 7 bis 8 Rappen Produktions- und Speicherkosten pro Kilowattstunde günstiger als Strom aus Gas- oder Kohlekraftwerken – dabei entsteht jedoch kaum CO2.
Gleichzeitig ist es wichtig, mit einer guten Steuerung (Demand-Side- Management) die Nachfrage nach netzgebundenen Dienstleitungen zu beeinflussen. Je besser dies gelingt, umso kleiner wird der Anteil am produzierten Strom, der keine sofortige Verwendung findet.
Trotzdem bleibt eine grosse Herausforderung: Der heutige Strommarkt ist nicht auf erneuerbare Energieträger ausgerichtet, sondern auf fossile Kraftwerke. Die Strompreise werden in Europa seit der Liberalisierung auf den grossen Strombörsen automatisch auf sogenannten Merit-Order-Märkten festgelegt. Diese Märkte orientieren sich an den Betriebsmittelkosten und nicht an den Durchschnittskosten. Auf den ersten Blick sieht es aus, als würden die erneuerbaren Energien mit ihren tiefen Betriebsmittelkosten davon profitieren. Denn während Kohle- und Gaskraftwerke hohe Brennstoffkosten aufweisen, produziert eine Photovoltaikanlage bei Sonnenschein ja praktisch kostenlos Strom. Dennoch ist diese Orientierung der Märkte problematisch.
Das Schwierige dabei: Beim heutigen System fliessen die Investitionskosten nicht in die Festlegung des Strompreises ein – so will es der aktuelle Markmechanismus. Die Folge: Investitionen in neue Anlagen rechnen sich nicht, weil die Preise auf den Strommärkten zurzeit immer noch sinken und die Erlöse erodieren.
Sinnvoller wäre eine Marktordnung, die die Kosten der Stromerzeugung vollständig im Strompreis abbildet. Dazu gehören nicht nur die Betriebsmittelkosten, sondern genauso die Investitions- und letztlich auch die Umweltkosten. Gelingt es, alle diese Kosten im Strompreis zu integrieren, ergibt sich eine echte Preis-Nachfrage- Kurve und es entsteht ein genügend grosser Anreiz für Investoren, auf eigenes Risiko Anlagen zu bauen. Zurzeit existieren noch keine umsetzbaren Konzepte für eine Umgestaltung des Strommarkts, aber die Diskussion wird bereits intensiv geführt.
Als Übergangslösung braucht es deshalb Investitionszahlungen, die sicherstellen, dass neue Anlagen schnell genug gebaut werden. Im Ausland haben sich in diesem Zusammenhang Auktionen bewährt. swisscleantech setzt sich dafür ein, dass eine solche Übergangslösung auch in der Schweiz vorangetrieben wird. Versäumen wir dies, könnte es hierzulande zu Stromengpässen kommen.
Immer deutlicher zeigt sich: Europa muss in der Stromproduktion besser zusammenspannen. Für die Schweiz ist das nichts Neues. Während Jahrzehnten spielte unser Land als europäische Stromdrehscheibe eine wichtige Rolle. Mit der Umsetzung einer konsequenten Klimapolitik in Europa werden die Anforderungen an die Flexibilität weiter zunehmen. Die gute Nachricht: Die Schweizer Stromproduzenten werden davon profitieren können. Bedingung dafür ist, dass unser Land dank bilateraler Abkommen ein integraler Bestandteil des europäischen Stromversorgungssystems bleibt. So können Schweizer Kraftwerke weiterhin nützliche Dienste leisten und mithelfen, die Peaks bei der Produktion von Windund Sonnenenergie auszugleichen oder mehrtägige Flauten zu überbrücken.
Exportiert die Schweiz Strom ins Ausland, wenn dort grosse Nachfrage herrscht, braucht es einen Ersatz für den Schweizer Bedarf zu anderen Zeiten. Immer öfter wird das Windstrom sein, der in Europa in grossen Mengen vorhanden und daher günstig zu haben ist. So ergibt sich ein wirtschaftlich interessantes und ökologisches Businessmodell für unsere Speicherseen und die Pumpspeicherwerke.
Dieses Businessmodell funktioniert aber nur, wenn genügend Transportkapazitäten vorhanden sind. Europa und auch die Schweiz haben deshalb ein grosses Interesse, diese Stromnetze auszubauen, auch wenn das nicht einfach zu realisieren ist. Hier bietet sich die zusätzliche Nutzung bestehender Infrastrukturen an – etwa von Transitstrassen oder Eisenbahnlinien –, genauso wie eine Erhöhung der Transportkapazitäten auf den bestehenden Leitungen.
Die Übertragung mit Gleichstrom wird einen grossen Beitrag zu dieser Erhöhung leisten. Damit ist es wesentlich einfacher, Strom mit wenig Verlust über weite Strecken zu transportieren. Einige Forscher sprechen sogar davon, dass mit dieser Technologie eine weltumspannende «Stromautobahn» gebaut werden könnte. Weil Gleichstromleitungen weniger Platz benötigen, lassen sie sich auch gut im Boden verlegen, was Ausbauprojekte vereinfacht.
Gut ausgebaute Transportleitungen ermöglichen es, Produktionskapazitäten im Ausland künftig direkt zu nutzen. Dann könnte es durchaus sinnvoll sein, ausländische Anlagen aus der Schweiz zu finanzieren und deren Produktion wie Eigenstrom zu behandeln. Dazu braucht es neue rechtliche Rahmenbedingungen; heute investieren Schweizer Produzenten ausschliesslich in Auslandanlagen, die aus erneuerbaren Quellen Strom für das Standortland produzieren. Und das heisst: Die ökologische Leistung – also die Reduktion des CO2-Ausstosses – wird nicht der Schweiz angerechnet, da das Standortland dafür bezahlt hat.
Um kurzfristige Schwankungen im Stromangebot optimal zu nutzen, spielen auch lokale Speicher eine grosse Rolle. Insbesondere im Tagesverlauf werden wohl Batteriespeicher und die gezielte Verlagerung des Stromverbrauchs einen Grossteil dieser Aufgabe übernehmen. Richtig eingebunden, können dezentrale Speicher auch helfen, die Stromnetze zu entlasten – indem sie zum Beispiel in Agglomerationen die grossen zeitlichen Lastschwankungen der Einzelhaushalte ausgleichen. Damit lassen sich parallel die Netzausbaukosten deutlich senken.
Als Speicher im mobilen Einsatz – vor allem in Fahrzeugen – werden vermutlich die immer günstiger werdenden Lithium-Batterien dominieren. Es besteht jedoch in der Batterieentwicklung noch einiges Potenzial; in Zukunft könnten auch andere Metalle und Salze eine grössere Rolle spielen, insbesondere für ortsgebundene Speicher.
Die Herausforderung ist gross, doch die Vergangenheit hat gezeigt: Unsere Industrie ist immer dann erfolgreich, wenn sie voll auf Innovation setzt. Das ist auch weiterhin nötig, denn heute emittiert die Schweizer Wirtschaft immer noch 9,8 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.
ohne CO2-Emissionen Die tropischen Schmetterlinge im Papiliorama in Kerzers mögen es warm – entsprechend hoch waren die Energiekosten von rund einer Viertelmillion Franken pro Jahr. Ein guter Grund, sich von den Energiespezialisten der Cleantech Agentur Schweiz (act) beraten zu lassen. Mit verschiedenen Massnahmen konnten die Energiekosten um jährlich fünf bis acht Prozent gesenkt werden. Die dazu nötigen Investitionen liessen sich innerhalb weniger Jahre durch Einsparungen bei den Energiekosten amortisieren. Beim Papiliorama betrug die durchschnittliche Pay-back- Zeit nur 4,3 Jahre. Aber es geht nicht nur ums Geld: Der schonende Umgang mit der Natur ist Teil der Botschaft. Das Papiliorama träumt von einem CO2-neutralen Betrieb und nähert sich diesem Fernziel mit konsequenten Schritten. Das neuste Projekt ist die Beschattung des Weges mit Solarmodulen.
Verpflichtungslösungen, wie sie in der Schweiz seit dem ersten CO2-Gesetz im Jahr 2000 vereinbart werden können, bieten eine gute Möglichkeit, die Wirtschaft auf dem Weg in die Klimaneutralität zu begleiten. Um eine Verpflichtungslösung zu realisieren, legen Firmen zusammen mit einer Fachagentur – etwa der Energie-Agentur der Wirtschaft oder der Cleantech Agentur Schweiz – eine Liste von Massnahmen zur Reduktion von Emissionen und zur Energieeffizienz fest. Hält sich die Firma an den festgelegten Reduktionsplan, wird sie von der CO2-Abgabe befreit. So ergibt sich eine Win-win- Situation. Die Firma profitiert vom spezialisierten Know-how-Transfer und erhält die Freiheit, wirtschaftliche Massnahmen zeitlich optimal umzusetzen. Der Staat wiederum kann mit zum Teil erheblichen Reduktionsmassnahmen rechnen, ohne dass Arbeitsplätze verloren gehen.
Wie bei den Gebäuden führt der Weg zur CO2-Neutralität über die Kombination von Energieeffizienz mit dem Ersatz bisher verwendeter Energieträger. Der Schritt von fossilen Brennstoffen hin zu Strom kann eine gute Lösung darstellen – sofern die erneuerbaren Energieträger tatsächlich stark ausgebaut werden.
Grosse Möglichkeiten bietet auch der Einsatz von Biomasse. Energieholz (also Holzschnitzel, Pellets oder Altholz) und trockene Abfallbiomasse könnten in der Industrie wesentlich intensiver genutzt werden, denn sie eignen sich hervorragend, um Temperaturen zwischen 100 und 300 Grad Celsius zu erzeugen – ein Temperaturbereich, der in vielen industriellen Prozessen benötigt wird.
Es gibt aber auch Prozesse, bei denen es ohne Kohlenstoffquellen fast nicht geht – beispielsweise im Stahlrecycling. Die Herstellung von Stahl aus Alteisen ist wesentlich effizienter als die Neugewinnung, doch für diesen Prozess braucht es Methan. Bereits heute kann ein Teil davon mit Biogas ersetzt werden, auch wenn das etwas teurer zu stehen kommt. Langfristig ist denkbar, dass synthetisches Methan zum Einsatz kommt, das aus CO2 und Wasserstoff gewonnen wird (siehe Kapitel 9). Die Technologie dafür ist bereits vorhanden; wird sie in grossem Stil eingesetzt, sinken die Preise.
Die grösste Herausforderung besteht dort, wo CO2 direkt im Herstellungsprozess aus den Rohstoffen entweicht, etwa bei der Herstellung von Zement. Hier führt der Weg primär über Veränderungen der Rezepturen. So können die CO2-Emissionen beim Zement etwa durch den Ersatz von Kalk durch andere mineralische Bindungsmittel deutlich reduziert werden. Die Restemissionen lassen sich über die Endlagerung von CO2 im Erdreich eliminieren. Besonders hier hat die «Carbon Capture and Storage»-Technologie eine Berechtigung.
Natürlich stellt der Klimawandel vor allem energieintensive Wirtschaftszweige vor grosse Herausforderungen. Ein gewisser Strukturwandel ist wohl unvermeidlich, denn es ist klar: CO2- und energieintensive Produkte müssen sparsamer eingesetzt und ersetzt werden. Für allseits gleiche Rahmenbedingungen bei diesem Wandel kann der CO2-Emissionshandel sorgen.
Power-to-X ist einer der wichtigsten Ecksteine für eine nachhaltige Energieversorgung. Denn wir werden auch in Zukunft chemische Stoffe verwenden, die ihre Energie durch eine chemische Reaktion freisetzen, wie das zum Beispiel bei der Verbrennung von Benzin geschieht. Chemische Energiespeicher auf der Basis von Wasser- und Kohlenstoff zeichnen sich durch eine ausgesprochen hohe Energiedichte aus, wie Kohle, Benzin und Diesel eindrücklich beweisen. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass beide Elemente auch künftig zum Einsatz kommen.
Hier kommt als Lösung Power-to-X ins Spiel. X steht dabei für einen beliebigen chemischen Energieträger, der auf der Basis von Kohlenstoff und Wasserstoff aufgebaut ist. Alle Power-to-X-Prozesse basieren darauf, dass zuerst mit erneuerbarer Energie Wasser gespalten wird. Der dabei entstehende Wasserstoff ist bereits als Energieträger tauglich, jedoch in der Anwendung wenig praktisch. Um das Handling zu verbessern, wird er über Katalysatoren geleitet und mit CO2 verbunden, wodurch zum Beispiel Methan oder auch Alkohole, etwa Methanol, entstehen.
Die Technologie dafür ist seit Jahrzehnten bekannt, aber sie fristete bisher ein Nischendasein. Der Grund dafür liegt in der Dominanz der (billigen) fossilen Energie. Wenn der Preis für Strom aus erneuerbaren Quellen weiter sinkt und wenn die Emission von CO2 etwas kostet, dann stehen die Chancen gut, dass die Elektrolyse und die anschliessende Synthese von Energieträgern zu einem wichtigen Baustein für die erneuerbare Energiezukunft wird.
Die Produktion chemischer Energieträger ist eine Gleichgewichtsreaktion, also umkehrbar. Das heisst, man kann mit chemischen Energieträgern auch wieder Strom produzieren – man spricht dann von reversiblem Betrieb. Damit könnten Power-to-XAnlagen auch wichtige Aufgaben im Stromversorgungssystem übernehmen. Heute werden Gas- und Kohlekraftwerke als Back-up-Lösungen eingesetzt, um Phasen der Stromknappheit auszugleichen. Das ist zwar durchaus sinnvoll, wenn solche Anlagen bereits vorhanden sind. Langfristig könnten aber auch Power-to-X-Anlagen als Back-up-System dienen. Das ist ein wichtiger Grund, warum solche Anlagen auch in der Schweiz sinnvoll sind – und nicht nur in sonnigen Ländern, die dann für den Export produzieren. Entscheidend ist, dass sich ein Markt für diese Technologie entwickelt und dadurch die Anlagenpreise sinken.
Wegen des schwankenden Angebots von echtem Überschussstrom werden Power-to-X-Anlagen auf ein Businessmodell setzen, das für Investitionsgüter unüblich ist. Sie werden im Gegensatz zu gewöhnlichen Energieversorgungsanlagen nur einige Hundert bis vielleicht tausend Stunden pro Jahr in Betrieb sein – nämlich dann, wenn Überschussstrom vorhanden ist, um damit chemische Energieträger herzustellen. Oder umgekehrt dann, wenn es gilt, in Engpasszeiten zusätzlichen Strom zu produzieren.
Deshalb müssen die Investitionskosten solcher Anlagen möglichst tief liegen und die Betriebsbereitschaft muss über lange Zeit sichergestellt sein. Das hält die Kapitalkosten tief. Wir stehen also bei Power-to-X-Anlagen am Anfang einer Entwicklung, wie wir sie zum Beispiel vom Auto her kennen. Auch die meisten Autos sind jährlich weniger als 1000 Stunden unterwegs. Die dennoch grosse Verbreitung verdankt das Auto den tiefen Kosten, und diese wiederum sind eine Folge der hohen Stückzahlen.
Wie lange benutzen wir eine Bohrmaschine pro Jahr? Es sind durchschnittlich anderthalb Minuten. Wer keine aktive Heimwerkerin ist, wird also die Bohrmaschine im Haushalt nicht vermissen – bis es gilt, ein Loch in die Wand zu bohren. Wir sind nicht an der Maschine selber interessiert, sondern an der Serviceleistung, die das Gerät ermöglicht.
Denkt man diesen Gedankengang konsequent weiter, lassen sich wichtige Hebel für einen nachhaltigeren Konsum erkennen. Wenn zehn Personen gemeinsam eine Bohrmaschine nutzen, braucht es nicht zehn Bohrmaschinen, sondern nur eine. Das reduziert den Materialverbrauch. Mit anderen Worten: Neue Miet- und Nutzungsmodelle können den Materialfluss und damit auch den Energie- und Ressourcenverbrauch deutlich reduzieren.
Ist die Nutzung der Bohrmaschine an ein Businessmodell gekoppelt, lassen sich dadurch lokale Arbeitsplätze schaffen – selbst wenn das Gerät vermutlich in China gefertigt wird. Denn die Vermietung der Bohrmaschine und der Service bleiben lokal. Neue Mietund Nutzungsmodelle sind aber nicht nur für selten benutzte Geräte wie Bohrmaschinen ökologischer. Auch regelmässig benutzte Konsumgüter könnten mit einem neuen Businessmodell nachhaltiger werden. Das ist das Ziel des Verbands Schweizerischer Radio-, TV- und Multimediafachhandel: Mit einem neuen Geschäftsmodell sollen hochwertige Geräte mit langer Lebensdauer und guter Reparaturfähigkeit zuerst an besonders gute Kunden vermittelt werden. Nach einigen Jahren werden die Geräte ausgetauscht, gereinigt und bei preissensiblen Nutzern ein zweites Mal eingesetzt.
Mit den neuen Besitzverhältnissen ändern sich auch die Ansprüche. Als Nutzer erwartet man eine funktionierende Maschine. Dem Vermieter ist ein Gerät wichtig, das widerstandsfähig ist, auch gelegentliche Fehlmanipulationen übersteht und sich gut reparieren lässt. Diesen neuen Fokus könnte sich auch der Gerätehersteller zu eigen machen. Denn oft ist nicht das reine Materialrecycling die kostengünstigste Lösung. Bei einem integrierten Businessmodell, bei dem das Gerät von A bis Z im Eigentum des Herstellers verbleibt, lohnt es sich oft, dieses von Anfang an so zu designen, dass es sich einfach zerlegen lässt und einzelne wertvolle Teile wiederaufbereitet und erneut eingesetzt werden können.
Bei einer Waschmaschine zum Beispiel ist das Getriebe einer der teuersten Teile. Geht der Waschmaschinenhersteller dazu über, seine Getriebe zu standardisieren und mehrfach zu verwenden, wird er das Gerät nicht mehr als Wegwerfware betrachten, sondern als Rohstoff für neue Produkte. Er wird also die ausrangierte Waschmaschine zurücknehmen und das wiederaufbereitete Getriebe in ein neues Gerät einbauen. Dadurch rücken Hersteller und Entsorger näher zusammen und der Anreiz steigt, bereits beim Design auf gute Trennbarkeit der Materialien zu achten. So wird das Produkt zum Rohstofflager für die Zukunft.
Es ist eine marktwirtschaftliche Grundregel, dass günstige Ressourcen eher verschwendet werden, während mit teuren Ressourcen haushälterisch umgegangen wird. Zu den heute besonders günstigen Ressourcen gehört das nur begrenzt vorhandene «Deponievolumen » für Treibhausgase in der Atmosphäre. Wir wissen mittlerweile sehr genau, wie viel Treibhausgase wir noch emittieren dürfen, wenn die Klimaerwärmung unter zwei Grad Celsius bleiben soll. Mindestens zwei Drittel aller heute bekannten Reserven an fossilen Energieträgern müssen für immer im Boden bleiben – andernfalls droht eine Erwärmung mit unabsehbaren Folgen. Deshalb ist es für eine erfolgreiche Klimapolitik zwingend, dass CO2-Emissionen einen Preis bekommen.
Mit der Einführung der CO2-Abgabe im Jahr 2008 hat die Schweiz hier einen mutigen Schritt gemacht. Im Gebäudebereich hat die Abgabe, ergänzt mit flankierenden Massnahmen, zu einer deutlichen Reduktion der CO2-Emissionen geführt. Diesen Weg sollte die Schweiz weiter gehen.
Zwar hat der Ökonom Hans Werner Sinn recht mit seiner Feststellung, es brauche eine weltweite Vereinbarung, weil sonst die Einsparungen an einem Ort durch Emissionen an einem anderen Ort aufgewogen würden. Dennoch lohnen sich nationale und sogar firmeninterne CO2-Preise schon heute, denn damit wird das Risiko für sogenannte Stranded Assets verkleinert. Solche «gestrandete Vermögenswerte» entstehen, wenn in Infrastruktur – zum Beispiel Diesellastwagen oder Industrieanlagen mit hohen Emissionen – investiert wird und diese aufgrund neuer Gesetze plötzlich nicht mehr genutzt werden darf oder zusätzliche Kosten verursacht. Viele Firmen haben das erkannt und setzen auf einen freiwilligen CO2-Preis, um schon heute die richtigen Investitionsentscheide zu treffen. Auch immer mehr Banken bewerten die Umweltperformance ihrer Anlagen: Wenn die Preise für CO2 steigen, verschlechtert sich bei Technologien mit hohen Emissionen die Rentabilität. Vorausschauende Finanzinstitute reduzieren daher mit einer nachhaltigen Investitionspolitik ihre Risiken.
Ein CO2-Preis hat auch eine positive Wirkung auf die Innovation. Emissionsmindernde Technologien erhalten so einen Markt und es eröffnen sich neue Chancen in der weltweiten Umsetzung. Gerade die Schweiz als technisch hochentwickeltes und reiches Land kann im Klimaschutz eine Vorbildwirkung entfalten. Etabliert die Schweiz einen CO2-Preis und erweist sich diese Massnahme als wirksam, ebnet dies den Weg für andere Länder.
Die Förderung innovativer Technologien ist auch noch aus einem anderen Grund wichtig: Je klarer der Lösungsweg und je tiefer die Kosten, desto einfacher wird es sein, eine internationale Vereinbarung zu erreichen. swisscleantech ist überzeugt, dass das Engagement gegen den Klimawandel gleichzeitig auch den Aufbruch in eine neue, wirtschaftlich attraktive Zukunft bedeutet – und zwar für alle. Denn nichts macht eine gute Verhandlungslösung schwieriger als der Verdacht, damit werde lediglich der Abstand zwischen armen und reichen Ländern zementiert oder gar vergrössert. Fazit: Auch für ein kleines Land wie die Schweiz gibt es gute Gründe, sich stark und rasch an der Reduktion von CO2-Emissionen zu beteiligen.
Die fortschreitende Digitalisierung ermöglicht eine bessere Steuerung und damit massive Effizienzgewinne, zum Beispiel in der Gebäudetechnik und beim Verkehr. Und dank einer verstärkten Kreislaufwirtschaft entstehen neue Businessmodelle, die die Treibhausgasemissionen weiter reduzieren können – auch hier in ganz verschiedenen Bereichen. All dies ist nur möglich dank grosser Fortschritte in der Sensorik und der Datenverarbeitung.
Vier Pfeiler spielen dabei eine zentrale Rolle: Sensortechnik, Vernetzung, Datenverarbeitung und Datensicherheit. In allen vier Bereichen ist die Dynamik enorm.
Die Kosten für Sensoren sind in den letzten zehn Jahren massiv gesunken. Das erlaubt es, Gebäude kostengünstig auszurüsten und durch Automatisierung erhebliche Energieeinsparungen zu realisieren – bei intelligenter Steuerung kann die Einsparung bis zu zwei Drittel betragen!
Auch in der mobilen Datenkommunikation ist die Entwicklung stürmisch. Allein der Schritt vom heutigen System (LTE) zu 5G wird die Datenkapazität um den Faktor 1000 erhöhen und gleichzeitig den Energieverbrauch um den Faktor 1000 pro Bit senken. Zudem steht mit dem neuen Wireless-Netzwerkprotokoll LoRaWan eine Technologie zur Verfügung, die es erlauben wird, Sensoren auch im entferntesten Winkel kostengünstig und energieeffizient ins Internet der Dinge einzubinden.
Cybersicherheit und Persönlichkeitsschutz bleiben in einer zunehmend digitalisierten Welt grosse Herausforderungen. Deshalb braucht es Leitplanken, die den Daten- und Persönlichkeitsschutz garantieren und dafür sorgen, dass wir die über uns gespeicherten personalisierten Daten jederzeit einsehen können.
Kaum erwähnt werden muss die enorme Steigerung der Rechenkapazität. Die Kostensenkungen in der Informationstechnologie führen dazu, dass heute in vielen Haushalten locker ein Dutzend Geräte zu finden ist, die alle über eine höhere Rechenleistung verfügen, als sie für die Berechnung einer Mondlandung nötig wäre. Dank dieser Rechenleistung sind moderne Haussteuerungen heute in der Lage, die Sensordaten mit Wetterdaten aus dem Internet zu verbinden und mithilfe einer Gebäudesimulation optimalen Komfort bei minimalem Energieverbrauch sicherzustellen.
Die effiziente Nutzung von Ressourcen ist seit je verbunden mit effizienten Märkten. Solche Märkte sind transparent, für alle zugänglich und verlässlich. Ob Shared Economy, Austausch von dezentral produzierter Energie oder das Management der Gemeingüter – überall braucht es Verträge, die es erlauben, stabile Handelsbeziehungen aufzubauen. Die Distributed Ledger Technology – besser bekannt unter dem Namen Blockchain – steckt zwar noch in den Kinderschuhen, hat aber das Potenzial, das Vertragsmanagement komplett dezentral zu gestalten. Damit wird es möglich, Verträge im Energie- und Verkehrsbereich auf digitalen Marktplätzen effizient und sicher abzuwickeln.
Schlusswort
Wir haben in dieser Broschüre aufgezeigt, welche zwölf Schritte die Schweiz in eine klimafreundliche Zukunft führen. Bleibt die Frage, ob es sich auch tatsächlich rechnet – zumal ja immer wieder das Argument zu hören ist, es spiele für das Klima sowieso keine Rolle, ob die kleine Schweiz etwas unternehme oder nicht.
Verschiedene Hochschulen, etwa die ETH Zürich oder die Universität Lausanne, haben in den letzten Jahren Modelle erarbeitet und damit analysiert, wie sich das Bruttoinlandprodukt (BIP) entwickeln würde, wenn in der Schweiz eine stringente Klimapolitik zur Anwendung käme. Die Resultate wurden mit den Auswirkungen der Fortführung einer weniger ambitionierten Politik verglichen, die nicht mit dem Pariser Klimaabkommen kompatibel ist.
Alle bisher vorliegenden Studien kommen zu ähnlichen Resultaten: Die direkten Effekte einer konsequenten Klimapolitik auf das BIP sind gering. Einige Studien gehen von positiven Effekten aus, andere prognostizieren eine Reduktion des BIP um ein Prozent bis 2050, was einer jährlichen Reduktion von weniger als 0,03 Prozent – das sind weniger als 1,5 Millionen Franken – entspräche.
Nicht berücksichtigt sind in diesen Modellen allerdings die direkten Schäden des Klimawandels. Laut Stern-Bericht werden diese künftig zwischen 5 und 20 Prozent des weltweiten BIP betragen – das sind 4000 bis 16 000 Milliarden Dollar pro Jahr. Wie hoch die Kosten in der Schweiz sein werden, ist bisher noch nicht klar. Sie werden sich aber mit Sicherheit jährlich zu einer Summe im einstelligen Prozentbereich des schweizerischen BIP – also mehrere Milliarden Franken – aufaddieren. Damit werden die Schäden um Grössenordnungen mehr Geld verschlingen als uns die eventuell geringeren Wachstumsraten kosten werden, die aus einer engagierten Klimapolitik möglicherweise entstehen könnten.
Mit anderen Worten: Die Schweiz kann mit einer aktiven Klimapolitik nur gewinnen – aus Sicht der Umwelt, Gesellschaft und Volkswirtschaft.
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Barbara Schaffner, Christian Zeyer (Text)
Nadja Hauser, Fredi Lüthin (Redaktion)
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