Wenn der zusammenfassende Kurzbericht einer Studie 100 Seiten umfasst, wird auch der hinterlegte Gesamtbericht sehr lange sein. Damit schliesst die neuste Studie des Bundesamtes für Energie (BFE) zu den Energiesperspektiven 2050+ nahtlos an die Vorgängerstudie an, welche ebenfalls umfassendes Zahlenmaterial bot. Auch die Resultate fallen ähnlich aus – mit dem grossen Unterschied, dass zum ersten Mal mit einer vollständigen Dekarbonisierung bis 2050 gerechnet wird. In der Vorgängerstudie wurde dieses Ziel aus politischen Gründen ausgeschlossen. Die Resultate der neuen BFE-Studie sind dadurch viel näher an denen der Cleantech Energiestrategie, die swisscleantech 2014 veröffentlichte. Schon damals hielt unser Verband fest, dass die Elektrifizierung massgeblich vorangetrieben werden muss. Die BFE-Studie geht sogar weiter und rechnet mit einem Stromverbraucht von insgesamt 84 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2050.
Damit ist einmal mehr und in tieferem Detaillierungsgrad nachgewiesen, was andere Studien bereits aufgezeigt haben: die Energiewende ist machbar und auch bezahlbar. Die Zahlen der Studie sind nach erster Prüfung plausibel und es ist hinterlegt, wie die anvisierte Strommenge produziert werden kann. Allerdings müssen auch passende Massnahmen für die Umsetzung ergriffen werden. Und dafür braucht es Bewegung in der Politik.
Gebäudebereich als Kernelement der Energiestrategie
Im Gebäudebereich zum Beispiel wird darauf hingewiesen, dass Sanierungsmassnahmen für die Zielerreichung essenziell sind – diese sich aber nur wirtschaftlich rechnen, wenn sie im normalen Sanierungszyklus erfolgen und über lange Zeit abgeschrieben werden. Der Gebäudebereich und dessen fossilfreie Beheizung ist ein Kernelement der vorgelegten Strategie. Deshalb muss sichergestellt werden, dass politische Massnahmen eingeleitet werden, die es Hauseigentümer*innen erlauben, auf unbürokratische Art Modernisierungsmassnahmen zu finanzieren und langfristig abzuschreiben. Eine Möglichkeit, wie das geschehen könnte, ist der im letzten Jahr von swisscleantech vorgestellte Modernisierungsfonds.
Erneuerbare und einheimische Energieversorgung ausbauen
Wichtig ist auch der Hinweis, dass der Zubau an erneuerbaren Energien dringend beschleunigt werden muss. Beispielsweise ist die Steigerung der Stromproduktion aus Solaranlagen von aktuell 2.2 TWh auf 34 TWh kein Spaziergang. Folgendes Ziel sollte anvisiert werden: jedes geeignete Dach muss annähernd vollflächig mit Fotovoltaik versehen werden. Damit dies möglich wird, kommen wir nicht darum herum, Investitionen über geeignete Programme anzureizen. Auch hier ergibt sich eine Kohärenz in der Politikentwicklung: mit dem Vernehmlassungsverfahren für die Überarbeitung des Energiegesetzes hat der Bundesrat erkennen lassen, dass er bereit ist, die notwendigen Massnahmen einzuleiten. Deutlich wird aber auch, dass die grosse Herausforderung in der Winterversorgung liegt. In der Konsequenz muss die Förderpolitik noch mehr auf die Steigerung der Winterproduktion ausgerichtet werden
Potenziale für «negative Emissionen» nicht verschwenden
Als kleine Kritik am Bericht ist anzumerken, dass nicht nachvollziehbar ist, warum davon ausgegangen wird, dass ein Grundstock von 12 Mio. t CO2-Emissionen aus Abfallverbrennungsanlagen, Landwirtschaft und industriellen Prozessen verbleiben muss. Angesichts der rasanten Entwicklungen im Bereich der nicht-fossilen Grundstoffe und biogenen Ersatzstoffe ist zu erwarten, dass in vielen Bereichen bis 2050 taugliche Ersatzrohstoffe gefunden sind. Potenziale für negative Emissionen, bei denen CO2 aus der Atmosphäre entfernt und im Boden gespeichert werden, sollten nicht für diese Zwecke vergeudet werden. Sie sollten vielmehr dazu genutzt werden, den Klimawandel möglichst abzumildern.
Wir können es uns leisten
Natürlich stellen sich Fragen zu den Kosten des skizzierten Szenarios. Beruhigt stellen wir fest, dass die in der Studie ausgewiesenen Mehrkosten gering sind. Im jährlichen Schnitt wären Mehrausgaben von etwa 2.5 Mia. CHF oder 0.3 Prozent des mittleren Bruttosozialproduktes notwendig. Das ist verkraftbar, insbesondere, weil gleichzeitig Arbeitsplätze geschaffen werden und weil die Alternative – ein ungebremster Klimawandel – immer noch um ein Vielfaches teurer wäre.