Solarenergie: Chancen erkennen und rechtzeitig nutzen


Ohne Photovoltaik keine Energiewende. Aber wie viel Solarstrom kann man auf Gebäudedächern überhaupt erzeugen? Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie unterschiedlich Studienresultate bewertet und beurteilt werden können. So geschehen im Artikel »Gegen den Strom» in der NZZ am Sonntag.

Die Frage, ob das Solarpotenzial tatsächlich so gross ist wie es das Bundesamt für Energie (BFE) gemäss einer Studie des Berner Ingenieurbüros Meteotest analysiert hat, oder ob es eher so klein ist wie es eine neue Studie der ETH Lausanne (EPFL) besagt, ist nur einer der Aspekte, die im Artikel aufgeführt werden und sehr unterschiedlich interpretiert werden können.

Tatsächlich unterscheiden sich die beiden Analysen nur insofern, als dass die eine, nämlich die pessimistischere der EPFL, die Struktur der Dachflächen als gegeben annimmt. Gerade dies ist aber eine Annahme, die es zu hinterfragen gilt. Wenn wir davon ausgehen, dass Solarenergie tatsächlich eine wichtige Rolle in der zukünftigen Stromversorgung einnehmen muss, stellt sich die Frage, wo die dafür notwendigen Flächen herkommen sollen. Zur Verfügung stehen Freiflächenanlagen oder Gebäudeflächen, aber auch Parkplätzen und anderen Infrastrukturanlagen. Bereits ein Bruchteil der Siedlungsfläche von 3000 km2 wäre ausreichend, um die notwendige Solarenergie zu produzieren.

Die Aussage, dass nicht alle Dächer für Solarenergie geeignet sind, ist eine Momentaufnahme. Natürlich eignen sich Dächer mit einzelnen Lukarnen nicht optimal für Solaranlagen. Sie sind aber auch für die Wohn- oder Büronutzung nicht optimal.

Dachstrukturen sind das Resultat einer architektonischen Tradition. Hier kann man ansetzen, denn zwei andere wichtige Stossrichtungen der Energiewende laufen mit dem Interesse nach zusätzlichen Solaranlagen synchron. Einerseits sollten wir verdichteter bauen und andererseits die Gebäude – insbesondere deren Dächer – besser isolieren. Wird beides miteinander kombiniert und zusätzlich bei der Planung und Gestaltung darauf geachtet, dass die Dächer für Solarenergie optimiert werden, ergibt sich ein Potenzial mit dreifachem Nutzen: bessere Energieeffizienz und Wohnqualität, mehr Wohnfläche und zusätzliche Solarproduktion.

Wenn wir vor der Wahl stehen, unsere Landschaft und Seen mit Solaranlagen zu übersäen, oder alternativ unsere architektonische Tradition an die Bedürfnisse der Energieerzeugung anzupassen, sollten wir wohl Letzteres tun. Wir sollten nicht vergessen, dass in der dichtbesiedelten Schweiz Widerstände gegen Freiflächenanlagen zu erwarten sind.

Ähnlich pessimistisch wird im Artikel das Abregeln von Solaranlagen und die Verfügbarkeit von Speichern dargestellt. Damit wir das Abregeln der Spitzenleistung wie auch die notwendigen Speicherkapazitäten richtig einordnen können, muss berücksichtigt werden, dass das Kappen der Leistungsspitzen nur zu einem sehr geringen Abfall der Energieproduktion bei Solaranlagen führt. Die Auswirkungen einer Reduktion der Leistungsspitzen verschlechtert deshalb die Kostensituation bei Photovoltaikanlagen kaum. Werden die obersten 30 Prozent der Leistung einer Solaranlage abgeregelt, reduziert sich die produzierte Strommenge um weniger als 5 Prozent. Mit den ständig sinkenden Batteriekosten wird auch die Zwischenspeicherung der produzierten Energie rentabler. Gerade in der Batterieentwicklung sind wir erst am Anfang einer rasanten technischen Entwicklung. Im Verbund mit Pumpspeichersystemen und anderen Kurzzeitspeichern werden die Batterien dafür sorgen, dass das Stromversorgungssystem trotz volatiler Produktion stabil bleibt.

Damit eröffnet sich für die Schweiz ein interessantes Businessmodell: Strom aus volatilen Quellen dann einzukaufen, wenn er in Europa verfügbar ist und zusätzlich Spitzenstrom aus den flexiblen Kraftwerken in den Bergen zur Verfügung stellen, wenn Strom in Europa knapp werden sollte. Fazit: Die klimaneutrale Schweiz ist zu schaffen, wenn wir die Chancen erkennen und rechtzeitig nutzen.

 

Quelle: NZZ am Sonntag, «Gegen den Strom», 5. Juli 2020.