Nach dem Klimagipfel: Mangel an internationaler Solidarität und nationalem Engagement


Indien und China blockieren im letzten Moment eine schärfere Formulierung für den Kohleausstieg. Damit – so berichten die Journalist*innen – wird der Klimagipfel in Glasgow zum Desaster und China wie auch Indien werden zu Schuldigen gestempelt. Liegen die Medien richtig? Eine differenziertere Betrachtung zeichnet ein etwas anderes Bild – nicht nur diese Länder, sondern auch die Schweiz und die internationale Zusammenarbeit schneiden dabei schlecht ab.

Darstellung: Climate Action Tracker
Artikel
von Dr. Christian Zeyer
15.11.2021

Desaströs ist nicht die Konferenz von Glasgow, es ist die Klimapolitik der teilnehmenden Länder, die nicht genügt. Die Organisation Climate Action Tracker weist nach, dass kaum eine Nation auf der ganzen Welt über eine Klimapolitik verfügt, die mit dem Pariser Klimaabkommen im Einklang steht. Auch die Schweiz steht nicht besser da: Mit dem Nein zum CO2-Gesetz gehört sie vielmehr zu den wenigen Ländern, die keine verbindlichen Pläne zur Erreichung ihrer klimapolitischen Ziele vorweisen können.

Die Vorwürfe an China und Indien sind aus zwei Gründen scheinheilig: Erstens ist auch der Wohlstand von uns Industriestaaten wesentlich auf fossile Rohstoffe zurückzuführen – eine schwache Position, um mit dem Finger auf andere zu zeigen, die noch weit unter diesem Wohlstandsniveau liegen.

Zweitens verursachen wir mit unserem nationalen Konsum auch die Emissionen von China und Indien mit. Tatsächlich verursacht unser Konsum in den Ländern, in welchen unsere Güter hergestellt werden, etwa doppelt so viele Emissionen, wie wir in der Schweiz verursachen. Dass wir uns gleichzeitig dafür einsetzen, den Handel mit Klimazertifikaten voranzutreiben, um in der Schweiz weniger Emissionen reduzieren zu müssen, grenzt damit an Heuchelei.

Natürlich muss man der Schweiz zugutehalten, dass sie sich sehr stark dafür engagiert, dass dieser Handel zumindest nach transparenten Regeln erfolgt. Trotzdem ist das Ziel, einen erheblichen Teil der Schweizer Emissionen im Ausland zu kompensieren nur der Ausdruck davon, dass das Ausmass der Klimakrise in der Schweizer Bevölkerung immer noch zu wenig bewusst ist. Wie soll die offizielle Schweiz an den Verhandlungen eine ambitioniertere Position einnehmen, wenn ihr zu Hause die Rückendeckung des Stimmvolks fehlt? Damit ist die Schweizer Positionierung gar nicht so anders als diejenige von China, Indien, Russland oder Saudi-Arabien. Sie alle wissen: Eine ambitionierte Klimapolitik ist kurzfristig ein Klimmzug, den sie nicht leisten wollen. Dabei verlieren sie aus den Augen, dass der langfristige wirtschaftliche Gewinn gross und der Weg in eine klimataugliche Zukunft ohne Alternative ist.

Unter dem Strich bestätigt die Klimakonferenz in Glasgow vor allem eines: Die oft eingeforderte weltweite Solidarisierung fehlt bis heute – obwohl wir wissen, dass alle im gleichen Boot sitzen. Für die Bewältigung der Klimakrise bleiben damit vor allem zwei Mittel: Ambitionierte CO2-Reduktionen im eigenen Land und der Ausbau der globalen Kooperation. So ist zumindest die gemeinsame Erklärung von China und den USA zu mehr Zusammenarbeit im Klimaschutz ein Lichtblick.