Im vergangenen Juni ist das europäische Parlament nach rechts gerückt, wobei die Europäische Volkspartei (EVP) weiterhin stärkste Kraft bleibt. Trotz der Verluste von Grünen und Liberalen sowie Zugewinnen von Rechtsaussen halten Sozialdemokraten, Liberale und EVP ihre Mehrheit. Neu hat die EVP aber die Option, mit weiter rechts positionierten Parteien Mehrheiten zu bilden.
Zwar betont die EVP, dass sie eine pro-europäische, pro-ukrainische und pro-rechtsstaatliche Politik verfolgt; nichtsdestotrotz könnte sie bei umwelt- oder klimapolitischen Vorhaben mit rechtskonservativen Kräften zusammenarbeiten [1]. Beispielhaft dafür ist die jüngste Abstimmung über die Entwaldungsverordnung, die Rodungen eindämmen und Wälder besser schützen sollte. Eine rechte Mehrheit stimmte für eine Verschiebung und Abschwächung der Vorlage [2]. Ähnliches wäre beim EU Green Deal möglich.
Neue Kommission will wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit – und Klimaschutz
Die Befürchtungen um ein Scheitern des Green Deals nahmen seit der Veröffentlichung der Missionsbriefe merklich ab. Die neue Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen setzt grossmehrheitlich auf die etablierte Koalition in der Mitte des Parlaments und bekräftigt, den Green Deal weiter umzusetzen [3],[4],[5]. Dieser soll in der kommenden Legislatur über seine Funktion als Dekarbonisierungsstrategie hinaus zu einer Kombination aus ambitioniertem Klimaschutz und langfristiger Wettbewerbsfähigkeit weiterentwickelt werden [6].
Dafür steht unter anderen der «Clean Industrial Act», welcher in den ersten 100 Amtstagen verabschiedet werden soll. Damit will die EU Investitionen fördern und einen Leitmarkt für saubere Technologien aufbauen [7]. Um Kreislaufwirtschaft voranzutreiben, ist der «Circular Economy Act» vorgesehen: Er soll die Nachfrage nach sekundären Rohmaterialien stärken und auf der Angebotsseite zur Schaffung eines Binnenmarkts für kritische Materialien aus Abfällen dienen [8].
Geht es nach von der Leyen, sollen darüber hinaus der CO2-Grenzausgleichmechanismus (CBAM) und das neue Emissionshandelssystem für Verkehr und Gebäude (EU ETS II) wie geplant 2026 eingeführt werden [4],[8]. Nicht zuletzt beabsichtigt die Kommission sogar, die Klimaziele ehrgeiziger zu gestalten: Im Vergleich zu 1990 sollen die Treibhausgasemissionen bis 2040 um mindestens 90% reduziert werden [4].
Weniger Bürokratie für Schweizer Unternehmen in Aussicht
Gemessen am Handelsvolumen ist die EU weiterhin der mit Abstand grösste Handelspartner der Schweiz. Darum entfalten Beschlüsse aus Brüssel durchaus Wirkung in der Schweiz und ihren Unternehmen [9]. Klimapolitisch erwiesen sich dabei insbesondere die «Corporate Sustainability Reporting Directive» (CSRD), die «Corporate Sustainability Due Diligence Directive» (CSDDD) und die Taxonomieverordnung als wichtig für die Schweizer Unternehmenslandschaft. Sie regeln die Nachhaltigkeitsberichterstattung und die Lieferkettensorgfaltspflichten der Betriebe. Davon betroffen sind auch viele Mitglieder von swisscleantech, die ihre Produkte in der EU vertreiben.
Trotz der unterstützenswerten Ziele, stiessen diese Vorgaben in der Vergangenheit aufgrund des bürokratischen Aufwands bei vielen Unternehmen auf Kritik. Diese dürften jetzt etwas aufatmen, da von der Leyen unlängst ankündigte, die drei Richtlinien zu vereinen. Dabei stellt sie in Aussicht, die Berichterstattungspflichten vereinfachen zu wollen – ohne Inhalte und Ziele abzuschwächen. Wie dies im Detail aussehen wird, soll mit der «Omnibus»-Verordnung klarer werden, die voraussichtlich Mitte 2025 veröffentlicht wird. [10],[11]
Von Brüssel nach Bern: Impulse für Klimapolitik und Wirtschaft
Auf den ersten Blick verdrängen wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und geopolitische Sicherheit den EU Green Deal und somit den Klimaschutz von der Spitze der europäischen Prioritätenliste. Die neuen Mehrheitsverhältnisse ermöglichen es zudem, dass einzelne Bestandteile des Green Deals verschoben oder abgeschwächt werden. Klar ist aber, dass die neue Kommission an den grossen Zielen festhält und den Anspruch, beim Klimaschutz voranzugehen, nicht abgeben will. [4],[12]
Die Schweiz steht ebenfalls weiterhin in der Verantwortung und sollte die Voraussetzungen schaffen, um möglichst flexibel auf die Entwicklungen in der EU reagieren zu können. Die vollständige Strommarktöffnung zugunsten des Abschlusses eines Stromabkommens ist nur eines von vielen Beispielen. Gleichzeitig sind Massnahmen wie CBAM in der Schweiz vorausschauend zu erwägen, um die Wettbewerbsfähigkeit gewisser Industrien zu garantieren. Die hiesige Wirtschaft kann auf Bürokratieabbau aus Brüssel hoffen; ist aber indes selbst in der Pflicht, die eigenen Geschäftsmodelle möglichst klimatauglich zu gestalten.
[1] Timo Lehmann: «Manfred Webers Rechtsruck: Söder und Merz sollten ihren Mann in Brüssel bremsen»; Spiegel, 19.11.2024
[2] «EU-Parlament stimmt für Verschiebung von Waldschutzgesetz»; Tagesschau (ARD), 14.11.2024
[3] Stefan Grobe: «State of the Union: Wird die neue Kommission an ihren klimapolitischen Zielen festhalten?»; euronews, 20.09.2024
[4] Ursula von der Leyen: «Europe’s Choice: Political Guidelines for the next European Commission 2024-2029»; 18.07.24
[5] Eric Bonse: «Einigung über neue EU-Kommission: Grünes Licht für von der Leyens ‹Sprechpuppen›»; taz, 21.11.2024
[6] Bernd Riegert: «Neue EU-Kommission: Die wichtigsten Fakten»; Deutsche Welle, 17.09.2024
[7] «Clean Industrial Deal»; Kölner Stadt-Anzeiger, 18.07.2024
[8] «Fit für 55»; Website des Rates der Europäischen Union, 12.04.2024
[9] «Schweizerische Europapolitik: Schweiz-EU in Zahlen»; EDA, 24.09.24
[10] Christoph Herzog: «Konsolidierung von Berichtspflichten: EU-Kommission schlägt „Omnibus“-Verordnung vor»; Haufe, 22.11.24
[11] Jon McGowan: «EU Leadership Plans To Revamp Business Climate Regulations»; Forbes, 25.11.24
[12] Marta Pacheco & Robert Hodgson: «Bedeutet der Rechtsruck und die Wahlschlappe der Grünen das Ende des Green Deal?»; euronews, 13.06.2024