Analyse und Lehren aus der Abstimmungsniederlage


Die Analyse der Abstimmungsniederlage des CO2-Gesetzes von swisscleantech zeigt auf, welche Lehren für nächste Abstimmungskampagnen gezogen werden sollten.

News
von swisscleantech
23.06.2021

Was als politisch breit akzeptierte Vorlage des Bundesrates begann, wurde relativ unerwartet zu einer Abstimmung über Weltsichten. Obwohl keine der Parteien den Klimawandel leugneten, prallten drei Interpretationen des Umgangs mit der Klimaerwärmung aufeinander.

Die Welt-Sicht
Auf der Seite der Befürworter herrscht eine Welt-Perspektive vor. Sie verstehen die Schweiz als wichtigen Player innerhalb weltweiten Bemühungen um Klimaschutz. Die Abstimmung in der Schweiz wurde als erste Volksabstimmung über den Klimaschutz überhaupt und als Signal für andere Länder betrachtet. Die Welt soll sehen, dass die Schweiz ihren Beitrag zur Bekämpfung der Klimaerwärmung leisten will und in bescheidenem Masse bereit ist, als Vorreiter zu agieren.

Die Schweiz-Sicht
Das Nein Lager teilte sich auf in zwei Fraktionen, deren Argumente sich zum Teil überlagerten. Insbesondere die SVP vertrat wie in anderen Politikbereichen eine prononcierte Schweiz-Sicht. In dieser Wahrnehmung ist die Schweiz sehr klein und ein einsamer Vorreiter in einer Welt, die sich kaum um den Klimawandel schert. «Warum sollten wir etwas für das Klima tun, wenn die ganze Welt nichts tut», war ein oft benutztes Argument. Klimaschutz in der Schweiz erscheint in dieser Perspektive als eine nutzlose Investition in eine Katastrophe, die sich nicht abwenden lässt oder die vielleicht auch nicht so schlimm ist, wie das die Wissenschaft behauptet.

Die ordnungspolitische Sicht
In der FDP läuft eine heftige Debatte darüber, ob sich die Schweiz für mehr Klimaschutz engagieren sollte oder nicht. Auch wenn einzelne Vertreter der FDP die Schweiz-Sicht einzunehmen scheinen, entzündet sich die Diskussion innerhalb der FDP eher an der Frage, inwiefern das CO2-Gesetz ein unerlaubter ordnungspolitischer Eingriff des Staates ist. Wirtschaftspolitische und staatskritische Kreise in der FDP sind der Meinung, dass Staatseingriffe grundsätzlich schlecht sind und der Markt möglichst frei spielen sollte. Das Festlegen von Preisen für Umweltgüter ist für diese neoliberale Denkschule ein Sündenfall. Für andere, ordnungspolitisch weniger strikt eingestellte Vertreter der FDP, sind Lenkungspreise zwar akzeptabel, doch sie betrachten es als inakzeptabel, dass Teile der Einnahmen für Teilzweckbindung verwendet werden, deren Verwaltung der Staat übernimmt. Diese Gruppe von Personen bezog ihre Abneigung insbesondere aus der Idee, einen Klimafonds zu schaffen, der durch eine Flugticketabgabe mit jährlichen Einnahmen von rund von 1 Mia CHF alimentiert werden sollte und dessen Verwendung nicht besonders präzise formuliert ist.

Die Kostenfrage
Im Zentrum der Diskussion stand – wie meist in der Schweiz – die Kostenfrage. Doch was unter Kosten verstanden wurde, war unterschiedlich. Beide Seiten operierten mit Zahlen, die zwar die Ausgaben von Haushalten im Einzelfall richtig darstellten, jedoch für die Allgemeinheit wenig fassbar waren. Die Kosten der Klimaerwärmung für die Schweiz wurden gänzlich ausgeklammert.
Die Frage «was bedeutet die CO2-Abgabe für mich persönlich» wurde von der Pro-Kampagne nicht ausgeführt, obwohl Angebote (beispielsweise der Rechner der jungen Grünliberalen Partei) vorhanden waren. Andere vorbereitete Grundlagen wie die Studienergebnisse der swisscleantech Kostenstudie wurden aus politiktaktischen Gründen gar nicht erst veröffentlicht.

Aus der Kosten-Perspektive heraus ist wohl die überdurchschnittliche Ablehnung des Gesetzes durch die Generation der unter 30jährigen zu verstehen. Vermutlich gewichteten die Jungen nach einem Jahr Pandemie-bedingter Reiseabstinenz die Flugticketabgabe stark.

Das Dilemma der Prokampagne
Wichtig für das Verständnis des Abstimmungsresultates ist auch die emotionale Situation der Gesellschaft und die emotionale Ansprache durch die Kampagnen. Die Prokampagne war von Anfang an mit einem fundamentalen Argumentationsproblem konfrontiert: Aus der Schweiz-Perspektive ist die Argumentation «Klimaschutz ist teuer – die Schweiz ist klein – niemand tut etwas – deshalb sind die Kosten unnütz» absolut stringent. Die Weltsicht bedeutete für die Prokampagne: «Schaffen wir es nicht, uns zu einer stringenten, weltweiten Klimapolitik zusammenzuraufen, fahren wir in vielen Fällen besser, nichts zu tun.»
Das Dilemma: Aus der Sicht der Weltperspektive ist die ist Klimaschutz in der Schweiz ein Beitrag zur Lösung der Klimakrise. Dieses Argument hat jedoch aus der Schweiz-Perspektive keine Bedeutung.

Die zweite Möglichkeit der Prokampagne war es, nachzuweisen, dass Klimaschutz insgesamt wirtschaftlich ist. Diese Aussage machte das Pro-Lager zwar zum Claim, doch es konnte nur über sehr umfangreiche Zahlenschlachten mit vielen Annahmen bewiesen werden. Die Gegner argumentierten hingegen sehr plakativ mit zum Teil falschen Kostenargumenten. Es bestand also ein Ungleichgewicht der Emotionalität.

 

Konfrontiert mit unbelegten Zahlen von beiden Seiten, besteht die Gefahr, dass die Verlustangst bei vielen Stimmbürgern ein grösseres Gewicht erhält als die Versprechungen einer lichten Zukunft. Erschwert wurde diese Situation zusätzlich indem kurzfristige, zum Teil scheinbare Kosten den langfristigen Kosten des Klimawandels gegenübergestellt wurden. Menschen tendieren in solchen Situationen dazu, die langfristigen Kosten als deutlich weniger bedeutend einzustufen, als die kurzfristigen Kosten.

Ebenfalls nicht geholfen hat der Abstimmung, dass das Gesetzespaket sehr umfangreich und fein austariert war.  Man konnte es nur als Kompromiss verkaufen. Kompromisse jedoch sind für Emotionalisierung selten geeignet.
Aufgrund dieser Situation war es für die Gegner einfach, zu emotionalisieren, während die Emotionalisierung beim der Prokampagne nur über Bilder hätte erreicht werden können.

Diese Ausgangslage des Abstimmungskampfes wurde in den Anfangsphasen der Kampagne leider zu wenig analysiert und besprochen. Generell ging die Kampagnenleitungen davon aus, dass man eine Behördenvorlage mit einer unaufgeregten Kampagne verteidigen sollte. Deshalb wurde auf wenig emotionalisierende Sujets gesetzt und generell versucht, die emotionale Spannung zu reduzieren. Diese Rechnung ging nicht auf.

Schlechtes Timing
Erschwerend war für die Kampagne ausserdem das schlechte Timing der Abstimmung. Durch die Coronakrise wurde sehr viel klimapolitische Dynamik erstickt. Die Herausforderung der Pandemie für die Wirtschaft und die Unsicherheiten vieler Menschen in Bezug auf ihre finanzielle Lage zogen die Aufmerksamkeit von der Klimapolitik ab. Dass der Frühling ausgesprochen feucht und kalt ausfiel, half der Vorlage ebenfalls nicht. Es ist nachvollziehbar, dass viele Menschen die Bedrohung einer Klimakrise bei kaltem und nassem Wetter weniger wahrnehmen, als bei heissem und trockenen Wetter.

Es war ein Fehler, drei umweltnahe Abstimmungen auf das gleiche Datum zu legen. Es wird kolportiert, dass das Departement UVEK davon ausging, dass ein deutliches Resultat für das CO2-Gesetz auch den beiden Initiativen über Pflanzenschutzmittel Auftrieb verleihen würde. Die Dynamik, die sich einstellte, drehte jedoch in die andere Richtung. Da das Hauptargument gegen die beiden Landwirtschaftsinitiativen ebenfalls die Kosten waren und die Bauern sehr stark gegen die beiden Initiativen mobilisierten, riss das Nein zu den Initiativen das CO2-Gesetz mit. Es ist nachvollziehbar, dreimal für tiefe Kosten zu stimmen.  Zwischen den drei Abstimmungsvorlagen zu unterscheiden, brauchte einiges an Wille und Fähigkeit zur politischen Differenziertheit.

Die Lehren für kommende Abstimmungen
Das CO2-Gesetz teilt das Schicksal anderer grossen Behördenvorlagen. Grosse Würfe wie beispielsweise die AHV- und Rentenreform kommen seit Jahren nicht vom Fleck. Man muss daher die Frage stellen, inwiefern grosse politische Würfe überhaupt mehrheitsfähig sind. Gerade bei zeitlich drängenden Herausforderungen muss überlegt werden, ob es sinnvoll ist, ein grosses Paket zu schnüren, das viele Partialfeinde haben kann.

Das Gute am bestehenden CO2-Gesetz ist, dass es breit abgestützte Grundlage bildet, die schrittweise angepasst und in Teilen umgesetzt werden kann. Für die kommende Entwicklung der Schweizer Klimapolitik scheint dies ein sinnvoller Weg zu sein.
Es zeichnen sich jedoch bereits neue grosse Abstimmungen am Horizont ab: In voraussichtlich zwei Jahren wird über die Gletscherinitiative abgestimmt. Deshalb lohnt es sich, zwei Lehren aus der verlorenen Abstimmung zuziehen:

  1. Die Kostendiskussion ist unvermeidbar, weil die Gegner sie auf jeden Fall führen wollen. Erfolgversprechend kann es sein, das Kostenargument proaktiv zu klären, so dass man während der Kampagne einen verlässlichen Referenzpunkt hat. Beispielsweise wäre es sinnvoll gewesen, vertrauenswürdige Studien zu den Kosten bereits in der Vorphase der Kampagne zu veröffentlichen. Bei gegebenen Ressourcen wäre dies durchaus möglich gewesen.
  2. Idealerweise wird darauf verzichtet, mehrere Kampagnen zu starten oder es wird bewusst darauf geachtet, dass die Kampagnen besser aufeinander abgestimmt sind. Sehr frühzeitig muss mit Fokusgruppen und Analysen untersucht werden, welche Argumente die Stimmbevölkerung für den Klimaschutz motivieren. Auch hier wurde in der vergangenen Kampagne von den Befürwortern zu wenig investiert.Analyse Abstimmungsniederlage Co2-Gesetz

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