Warum die SVP-Forderung nach neuen KKWs keine Alternative zum Ausbau der erneuerbaren Energien ist


Es ist wichtig, über die Schweizer Stromversorgung im Winter zu sprechen – es ist nach der Stilllegung der Kernkraftwerke mit Engpässen zu rechnen. Dennoch ist der Bau neuer KKWs der falsche Lösungsvorschlag: Ihr Betrieb wäre in der Schweiz wirtschaftlich wenig attraktiv, bis zur Inbetriebnahme dauert es zu lange und niemand möchte sie in der Nachbarschaft. Erneuerbare Energien haben da – gerade in der Schweiz – bessere Chancen.

Fotografie: Patrick Federi

Die Anerkennung des Problems ist richtig, der Lösungsansatz falsch.
Natürlich begrüsst swisscleantech, dass die SVP das Sommerloch dazu verwendet, die Winterversorgung der Schweiz mit Strom zu thematisieren. Tatsächlich zeigen auch unsere Berechnungen, dass Angebot und Nachfrage im Strom im Winterhalbjahr spätestens dann auseinanderklaffen werden, wenn die alternden Kernkraftwerke vom Netz genommen werden.

Mit dem aktuellen, zu langsamen Ausbau der erneuerbaren Energien könnte im Winterhalbjahr eine Differenz zwischen Angebot und Nachfrage von rund 20 Terawattstunden entstehen. Dieser Engpass kann vermieden werden, wenn die Schweizer Energiepolitik zwei Stossrichtungen verfolgt: Den konsequenten Ausbau von Produktionskapazitäten für den Winter und gleichzeitig die Förderung des Demand-Side-Managements, bei dem es darum geht, Nachfrage und Angebot besser aufeinander abzustimmen.

Die Kernkraftwerke sind Anlagen, die im Winter produzieren können, das ist richtig. Trotzdem ist der Bau von Kernkraftwerken der falsche Lösungsvorschlag – zumindest für die Schweiz. Dafür gibt es drei Gründe, die eng miteinander verbunden sind.

Der Weg hin zur Inbetriebnahme eines Kernkraftwerks dauert zu lange.
Würde man heute mit der Planung beginnen können, würde es rund 25 Jahre dauern, bis die Anlagen in Betrieb gehen könnten. Unter anderen Politik- und Arbeitsbedingungen wie etwa mit geringerer Mitbestimmung wie in China könnte dieser Prozess leicht verkürzt werden, würde aber immer noch mehr als 20 Jahre dauern.

Schon seit einigen Jahrzehnten werden Diskussionen zu modularen Konzepten geführt, die diesen Ablauf von ersten Plänen bis zum Betrieb des Kernkraftwerks beschleunigen könnten. Tatsache ist, dass diese Konzepte bis heute keine Marktreife erlangt haben.

Die grösste Herausforderung hier: Diese Standardprodukte müssen vollständig neu homologiert und international freigegeben werden, sobald erste Pilotanlagen realisiert sind. Das alleine dauert mindestens zehn weitere Jahre. Anschliessend müssen die notwendigen Produktionskapazitäten für die Serienherstellung aufgebaut werden. Erst dann kann damit gerechnet werden, dass eine Beschleunigung im Anlagenbau möglich wird.

Ausserdem darf nicht vergessen gehen: Es ist nur die mechanische Ausrüstung inklusive Reaktor, die serienmässig gefertigt wird. Die Gebäude inklusive doppeltem Containment, welches dafür sorgt, dass bei einem Unfall die Radioaktivität eingeschlossen bleibt, müssen zwingend vor Ort gebaut werden. Der Bau eines neuen Kraftwerkes wird daher auch in Zukunft aufwändig bleiben.

Unsere Herausforderungen in der Winterstromversorgung lösen damit auch modulare Reaktoren nicht.

Der «NIMBY»-Effekt: «Kein KKW in meinem Hinterhof.»
Wer sich näher mit der Frage auseinandersetzt, warum der Zubau von Anlagen zur Produktion von Strom nicht schnell genug vorankommt, stösst auf zwei wesentliche Gründe: Erstens die schwierigen Finanzierungsbedingungen und zweitens der «Not In My BackYard»-Effekt («NIMBY»). Unter diesen beiden Effekten leiden alle Technologien, wobei der NIMBY-Effekt bei Kernkrafttechnologien besonders schwer wiegt. Die Vorbehalte gegenüber dem Bau neuer Kraftwerke – unabhängig ihrer Technologie – sind in der Schweizer Politik und Bevölkerung zumindest stellenweise gross. Erneuerbare Energien haben aber im Unterschied zu Kernkraftwerken keine historische Risikobehaftung – und sie überzeugen auch wirtschaftlich.

Auch neue Kernkraftwerke sind unflexibel und zu teuer.
Kernkraftwerke sind klassische Bandlastkraftwerke – das heisst, sie sollten in einem Jahr während mindestens 7000 Stunden bei Volllast produzieren können. Auch wenn neuere Kernkraftwerkstypen besser modulieren können, sind sie auf viele Volllaststunden angewiesen, damit sie übers Jahr genügend Ertrag für die notwenigen Abschreibungen und Zinsen erwirtschaften können.

Sie stehen in direkter Konkurrenz zu einem steigenden Anteil an erneuerbaren Energien, die in Europa in den nächsten zwei Jahrzehnten gebaut werden. Schon heute ist Strom aus Windturbinen und Solaranlagen unschlagbar günstig, erneuerbare Energiequellen werden damit den Strompreis zunehmend definieren. Europa hat beschlossen, die dazu notwendigen Anlagen schnell zu bauen.

Oft – und besonders im Sommer – wird es sogar ein grosses Überangebot an Strom geben. Können die Kernkraftwerke nur dann produzieren, wenn der Bedarf nicht gedeckt ist, wird ihr Betrieb wirtschaftlich unattraktiv. Gesucht sind eigentlich Kraftwerke, die billig anzuschaffen sind und nur dann produzieren sollen, wenn Nachfrage und Angebot auseinanderklaffen. Dank der Speicherkraftwerke mit flexibler Winterproduktion von etwa 10 Terawattstunden und einer Leistung von 10 Gigawatt hat die Schweiz hier bereits gute Karten. Als Ergänzung bieten sich an Stelle von KKWs eher Anlagen an, die in einer ersten Phase mit Erdgas und in einer zweiten Phase wohl mit synthetischem Gas betrieben werden. Wird dabei die Abwärme genutzt, ist eine solche Strategie auch mit dem Klimaschutz vereinbar. Für einen zügigen Ausbau erneuerbarer Energien ist ein Kernkraftwerk nur ein teurer Klotz am Bein. 

Fazit: Erneuerbare Energien sind günstiger, breiter akzeptiert und schneller in Betrieb
Wirtschaftlich wie auch technologisch spricht damit vieles für einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien und auch der Weg des geringeren Widerstandes führt eher über den Ausbau der erneuerbaren Energien als über Projekte für Kernkraftwerke. Nicht ohne Grund macht sich auch die Elektrizitätswirtschaft heute nicht mehr stark für neue Kernkraftwerke wie früher.

Es bleibt damit, der SVP zu empfehlen, sich mindestens so stark für den Ausbau der erneuerbaren Energien einzusetzen, wie sie es aktuell für Kernkraftwerke tut – die Aufmerksamkeit wäre ihr auch so sicher, Sommerloch hin oder her. Denn zur Sicherstellung einer zeitnahen, wirtschaftlich attraktiven und gesellschaftlich wie politisch akzeptierten Stromversorgung in der Schweiz führt kein Weg an einem Ausbau erneuerbaren Energien vorbei.