Diese Woche jährt sich der Abschluss der bilateralen Abkommen mit der EU zum 25. Mal. Während für viele Sektoren separate Verträge ausgehandelt und unterzeichnet wurden, besteht im Strombereich noch kein Abkommen. Die Verhandlungen über ein Stromabkommen starteten im Jahr 2007. Ausgelöst wurden die Gespräche durch einen grossflächigen Blackout in Italien und der Erkenntnis, dass mangelhafte Koordination und das Abseitsstehen der Schweiz ein grosses Risiko für das europäische Stromsystem darstellen. In den siebzehn Jahren seit der ersten Verhandlungsrunde hat sich der europäische Strombinnenmarkt laufend weiterentwickelt und mit jedem Vertiefungsschritt ist der Graben zwischen der Schweiz und der EU grösser geworden.
Gefährliche Diskrepanz zwischen den Strommärkten
Die wachsende Diskrepanz zwischen den beiden Strommärkten birgt Risiken und ist kostspielig. Unsere Strominfrastruktur ist seit den 1960er Jahren auf die internationale Vernetzung und Zusammenarbeit ausgerichtet. Das Schweizer Übertragungsnetz ist über mehr als vierzig Stromleitungen mit dem Ausland verbunden und unsere flexiblen Wasserkraftwerke sind auf den grenzüberschreitenden Handel ausgelegt. Dank dieser Einbindung in den europäische Strommarkt ist unsere Stromversorgung sicherer und günstiger geworden, aber auch abhängiger von den Entwicklungen in der EU. Finden diese Entwicklungen ohne Berücksichtigung unserer Interessen statt, kann das System in der Schweiz nicht mehr optimal betrieben werden.
Die Schweiz ist heute als Drittstaat von praktisch allen Marktmechanismen und Massnahmen für die Versorgungssicherheit ausgeschlossen. Dies betrifft insbesondere den internationalen Stromhandel, der seit 2015 ständig weiterentwickelt und verbessert wird. Seit 2018 findet der grenzüberschreitende Kurzfristhandel ohne die Schweiz statt. Besonders schmerzhaft ist der Ausschluss der Schweiz aus gewissen europäischen Handelsplattformen, welche dazu dienen, die Stabilität des Übertragungsnetzes sicherzustellen. Und weiteres Ungemach droht bald, wenn 2025 in der EU die sog. „70-Prozent-Regel“ in Kraft tritt. Diese besagt, dass Mitgliedstaaten mindestens 70% ihrer grenzüberschreitenden Leitungskapazitäten für den Handel im Binnenmarkt reservieren müssen. Die Auswirkungen auf die Schweiz sind unklar, könnten aber im schlimmsten Fall zu Einschränkungen beim Export und Import führen. Die schweizerische Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid warnt deshalb immer eindringlicher vor den Risiken, welchen das Schweizer Stromnetz ohne Koordination mit den europäischen Nachbarn ausgesetzt ist.
Risiken und Kosten verringern
Mit einem Stromabkommen würden die Risiken und Kosten deutlich verringert. Die Einbindung der Schweizer Strominfrastruktur in das europäische Verbundnetz wäre auf eine solide rechtliche Basis gestellt und eine sichere und effiziente Nutzung gewährleistet. Der grenzüberschreitende Stromhandel würde erleichtert und die Zusammenarbeit von Behörden und Organen geregelt. Nach langen Jahren des Verhandelns ist die politische Bereitschaft für einen raschen Abschluss vorhanden und die Dringlichkeit eines Abkommens ist unter Expert*innen kaum bestritten. Innerhalb der Europäischen Union gibt es allerdings niemanden, der dafür grundlegende Prinzipien der Gemeinschaft opfern würde. Für die Europäische Kommission gilt dies gleichermassen wie für die direkt betroffenen Mitgliedstaaten – allen voran Italien und Deutschland. Darum braucht es rasch Klarheit über die institutionellen Fragen bei der Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU.
Strommarktöffnung als Grundvoraussetzung
Unabhängig davon, wie die Schweiz in dieser wichtigen Frage voranschreitet, müssen wir im Inland politische Mehrheiten für die vollständige Strommarktöffnung finden. Ohne diesen Schritt fehlt eine Grundvoraussetzung für ein Stromabkommen. swisscleantech fordert deshalb seit langem, dass der Zugang zum freien Strommarkt für alle Stromkonsumierenden geöffnet und damit eine langjährige Diskriminierung aufgehoben wird. Damit wäre der Weg frei für ein Stromabkommen, welches für die Versorgungssicherheit unseres Landes von höchster Wichtigkeit ist.